: Jeder sechste Ostdeutsche denkt rechtsextrem
STUDIE Forscher sehen eine „neue Generation“ des Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Sie stellen den höchsten Wert an fremdenfeindlichen Einstellungen seit Beginn einer Langzeitstudie vor zehn Jahren fest
AUS BERLIN WOLF SCHMIDT
Wissenschaftler schlagen Alarm: Fast jeder sechste Ostdeutsche hat laut einer am Montag veröffentlichten Studie ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“. Insbesondere unter den 14- bis 30-Jährigen seien die Zahlen besorgniserregend. „Hier wächst eine Generation heran, die alle bisherigen Gruppen in ihrer rechten Einstellung zu überbieten droht“, heißt es in der Studie „Die Mitte im Umbruch“. „Die Brisanz dieser Situation darf keinesfalls unterschätzt werden.“
Seit 2002 untersuchen die Sozialforscher Elmar Brähler und Oliver Decker antidemokratische Einstellungen in der Bevölkerung. Ihr zweijährlich von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung vorgelegtes Rechtsextremismus-Barometer gilt als eine der wichtigsten Studien zum Thema. Für die diesjährige Erhebung wurden in diesem Sommer rund 2.500 Bürgerinnen und Bürger in Deutschland befragt.
In den ersten Jahren haben die Wissenschaftler noch im Westen des Landes häufiger ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ feststellen können als im Osten. Das hat sich inzwischen eindeutig geändert: 2012 hatten gut 7 Prozent der Westdeutschen nach den Kriterien der Forscher eine durchgehend rechtsextreme Einstellung, in Ostdeutschland waren es knapp 16 Prozent. „Diese Entwicklung ist alarmierend“, heißt es in der Studie. Eine erschreckend hohe Zustimmung haben in der Befragung insbesondere fremdenfeindliche Aussagen erfahren:
■ „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“, finden 54 Prozent der Ostdeutschen (West: 31 Prozent)
■ „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“, finden 44 Prozent der Ostdeutschen (West: 36 Prozent)
■ „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“, finden 42 Prozent der Ostdeutschen (West: 29 Prozent).
Nimmt man alle Aussagen zusammen, so bescheinigen die Sozialforscher Brähler und Decker insgesamt knapp 39 Prozent der Ostdeutschen, ausländerfeindlich zu denken. Das sei der höchste Wert, seitdem die Wissenschaftler vor zehn Jahren die Langzeitstudie begonnen haben.
Ausländerfeindlichkeit sei „tief in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs verwoben“, so die Wissenschaftler – und funktioniere gleichzeitig wie eine Art „Einstiegsdroge“ in den Rechtsextremismus. Auch die Islamfeindlichkeit ist laut der Studie mit gut 41 Prozent im Osten weiter verbreitet als im Westen.
Weniger deutlich sind dagegen die Unterschiede bei der Zustimmung zu autoritären, antisemitischen, sozialdarwinistischen, chauvinistischen und den Nationalsozialismus verherrlichenden Aussagen:
■ „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“, finden gut 19 Prozent der Ostdeutschen (West: 15 Prozent)
■ „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“, finden 19 Prozent der Ostdeutschen (West: 20 Prozent)
■ „Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen“, finden knapp 23 Prozent der Ostdeutschen (West: 17 Prozent)
■ „Es gibt wertvolles und unwertes Leben“, finden 12 Prozent der Ostdeutschen (West: 10 Prozent)
■ „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“, finden knapp 9 Prozent der Ostdeutschen (West: 11 Prozent).
Von einem „geschlossenen rechtsextremen Weltbild“ sprechen die Wissenschaftler, wenn Befragte nicht nur einzelnen, sondern einer Vielzahl von Aussagen auf ihrem „Barometer antidemokratischer Einstellungen“ zustimmen.
Eine Erklärung für die hohen Werte in Ostdeutschland können Elmar Brähler und Oliver Decker in ihrer aktuellen Studie nur bedingt liefern. Zum einen gilt nach wie vor das, was Rechtsextremismusforscher seit Jahren beobachten: dass der Hass auf Fremde dort höher ist, wo weniger Fremde leben. Nur wer den jeweils anderen kennenlernt, lernt ihn auch als Menschen zu schätzen. Zum anderen sind rechte Einstellungen auch in dieser Studie vor allem unter weniger gebildeten, vom Abstieg bedrohten oder arbeitslosen Männern verbreitet – und die finden sich in den ostdeutschen Bundesländern häufiger.
Doch allein mit den Strukturproblemen, die auch 20 Jahre nach der Wende nicht gelöst sind, ließen sich die Unterschiede nicht erklären, so die Forscher. Unabhängig von Ost und West sehen sie die Gefahr, dass einzelne Gegenden abgekoppelt werden vom Rest der Gesellschaft. Das Fazit der Sozialforscher: „Diese zurückgelassenen Regionen bringen für die Demokratie langfristig viel schwerwiegendere Probleme mit sich als ‚nur‘ hohe Arbeitslosenzahlen und Verschuldungsraten.“
■ Die Studie „Die Mitte im Umbruch – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012“ steht zum Download unter: www.fes-gegen-rechtsextremismus.de