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Archiv-Artikel

ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL Ich weiß, was der Kanzler plant

Niemand versteht, was im Kopf von Gerhard Schröder vorgeht. Mein Vater schon

Viele rätseln in diesen Tagen, was Gerhard Schröder treibt. Wie will er ohne Mehrheit Kanzler bleiben? Warum ist er in der Elefantenrunde am Wahlsonntag so aus der Rolle gefallen? Was treibt den Mann?

Ich rätsele nicht. Ich weiß es. Denn ich bekam am Dienstagabend einen Anruf. Der Anruf kam nicht direkt aus dem Kanzleramt, sondern aus Wanne-Eickel. Aber mein Informant steht dem Kanzler sehr nahe. Er denkt wie er. Er fühlt wie er. Mein Vater war dran.

– „Hömma Junge, wat habt ihr denn da widda gemacht?“

Normalerweise spricht mein Vater keinen Ruhrpottakzent. Auch alles Auftrumpfende und Aggressive ist ihm fremd. Normalerweise.

– „Was meinst du, Papa?“

– „Na mit der Wahl: Ihr habt doch alles falsch vorhergesagt. Ihr von den Medien wolltet doch, dass die Merkel gewinnt!“

– „Papa, ich doch nicht! Ich bin doch bei der taz! Bei den Guten!“

„Ach, ihr von der taz habt in der letzten Woche noch so gerade die Kurve gekriegt.“

Wie gesagt: Normalerweise ist mein Vater ein sehr umgänglicher Mensch. Auch politisch. Er ist seit 1970 in der SPD und seit 1971 zu keiner Versammlung mehr gegangen. Meine Mutter darf wählen, was sie will. Früher war Willy Brandt der Held meines Vaters. Später Oskar Lafontaine. Jetzt wohl nicht mehr.

Als mein Vater anrief, war es schon 22 Uhr. Ich saß noch am Schreibtisch und hatte den ganzen Tag gearbeitet. Mein Vater klang, als hätte er schon länger Feierabend gemacht.

– „Ha! Der Gerd hat euch das so richtig gezeigt. Ha!“

Er war in einer unangenehmen Stimmung. Meine Schwester nennt das die Rudi-Assauer-Stimmung. Rudi Assauer ist der Manager von Schalke 04. Assauer raucht öffentlich und haut seiner Frau im Werbespot auf den Hintern. Er entscheidet aus dem Bauch und pflegt das deutliche Wort. Neulich hat ein Fernsehmoderator angedeutet, er habe ein Alkoholproblem.

Rudi Assauer ist übrigens – ähnlich wie der Bundeskanzler und mein Vater – ein Medienkritiker. Als neulich ein Professor aus Heidelberg oder Freiburg oder so in einem Nachrichtenmagazin ausrechnete, Schalke sei überschuldet, kommentierte Assauer: „Den Mann muss man eigentlich standrechtlich erschießen.“

Mein Vater ist nicht nur Mitglied bei der SPD, sondern auch bei Schalke. Zur Versammlung, die man Heimspiel nennt, geht er alle zwei Wochen. Wenn Schalke gewinnt, sagt er, „wir werden Meister“, obwohl Bayern München einige Punkte Vorsprung in der Tabelle hat. Am nächsten Morgen geht es dann wieder. Aber am Abend unmittelbar nach dem Spiel, da lässt mein Vater keinen Widerspruch zu. Und so ähnlich muss es auch Gerhard Schröder am Wahlabend gegangen sein.

Und warum auch nicht? Egal ob in Wanne-Eickel oder im Kanzleramt: Es muss doch Momente geben, in denen ein Mann noch ein Mann sein kann! Wann, wenn nicht in der Stunde des Sieges gegen eine Welt von Feinden und Frauen? Jeder Mann sollte das Recht haben, ab und an in Rudi-Assauer-Stimmung oder in Gerhard-Schröder-Stimmung zu sein. Das Schlimme ist doch: Die Rudi Assauers sterben aus. Und die Gerhard Schröders auch. Joschka Fischer ist jetzt schon weg. Und nach ihnen kommen kluge Frauen und kalte Neoliberale. Oder kalte neoliberale Frauen. Die Zeiten, in denen im Kanzleramt geredet wird wie in Wanne-Eickel, gehen ihrem Ende entgegen. Wahrscheinlich kann bald nicht einmal mehr in Wanne-Eickel wie in Wanne-Eickel geredet werden.

Ich lebe schon seit Jahren nicht mehr in Wanne-Eickel und war schon seit Monaten nicht mehr in Rudi-Assauer-Gerhard-Schröder-Stimmung. Mein Vater hingegen schien seit der Wahl ununterbrochen in dieser Stimmung zu sein. Neidisch versuchte ich deshalb, ihn auf den Boden der Realität zurückzuholen:

– „Wie will dein Schröder denn ohne Mehrheit regieren, bitte schön?“

– „Weiß ich auch nicht“, gab er zu. Dann überlegte er eine Sekunde und sagte: „Der Gerd, der macht das schon irgendwie!“

Fragen zu Schalke? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS