: Endspurt bei Wahlen in Polen
In Polen wird bei den Parlamentswahlen an diesem Sonntag wohl der von vielen ersehnte Rechtsruck eingeleitet werden. Die postkommunistische bisherige Regierungspartei SLD könnte wegen ihrer Skandale gar an der Fünfprozenthürde scheitern
AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER
Als Lech Kaczyński einmal gefragt wird, was er für seinen größten Fehler halte, läuft er puterrot an. „Mein Gesicht“, sagt er patzig. Es klingt wie eine Ohrfeige. Nun prangt das rosafarbene Babyface des Warschauer Oberbürgermeisters überdimensional an jeder Straßenecke. „Ein starker Präsident“ steht auf dem Wahlplakat. Dass er wie ein Napoleon in Siegerpose dasteht, ist wohl kein Zufall. Dabei sind an diesem Sonntag zunächst Parlamentswahlen. Der Präsident wird erst am 9. Oktober gewählt.
Im Wahlkampf geht es weder um Themen noch Programme. Seit dem Rücktritt von Ministerpräsident Leszek Miller vor einem Jahr wartet das ganze Land nervös auf den Wechsel. Nicht die Linken sollen regieren, sondern die Rechten. Von Korruptionsskandalen, mafiösen Geschäften und falsch ausgefüllten Vermögenserklärungen will niemand mehr etwas hören. Dem noch immer regierenden postkommunistischen Bündnis der demokratischen Linken (SLD) könnte gar das parlamentarische Aus drohen. Das zumindest legen die Umfragen nahe, wo die abgehalfterte Partei bei 4 bis 7 Prozent liegt.
Vor vier Jahren noch hatte die SLD mit der Union der Arbeit (UP) einen Erdrutschsieg von 41 Prozent hingelegt. Ein Triumph sondergleichen. Die vorherigen Regierungsparteien Wahlaktion Solidarność (AWS) und Freiheitsunion (UW) schafften es nicht einmal mehr ins Parlament. Die Wähler straften sie ab für Arroganz und Unfähigkeit.
Seit über einem Jahr wird in Polen fast täglich gewählt. Umfragen bestimmen das politische Leben. „Wie würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Wahlen wären?“ An der Haustür stehen die jungen Leute mit ihren Fragebögen, auf dem Weg zum Kiosk stehen andere, und wenn zu Hause das Telefon klingelt, ist auch wieder ein Meinungsforscher dran. Alle zwei Tage gibt es neue Ergebnisse. Meist gewinnt die liberale Bürgerplattform (PO) vor der rechtspopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS).
Jetzt liefern sich die beiden Rechtsparteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit jeweils um die 33 Prozent. Wer am Ende das Rennen macht, hängt stark von der Wahlbeteiligung ab. Die Politik- und Wahlverdrossenheit ist inzwischen so groß, dass jetzt vielleicht nicht einmal die Hälfte der Wähler zu den Urnen geht.
„Das könnte fatale Folge für die großen Parteien haben“, meint Aleksander Smolar, Politologe und Präsident der Batory-Stiftung in Warschau. „Das Wahlergebnis scheint so sicher zu sein, dass viele PO-PiS-Wähler womöglich zu Hause bleiben. Damit würden die Chancen der rechtsradikalen Liga der polnischen Familien (LPR) ebenso steigen wie die der linkspopulistischen Selbstverteidigung (Samoobrona) von Andrzej Lepper.“
Ernsthafte Sorgen, dass diese die Oberhand gewinnen oder gar die SLD entscheidend Terrain gutmachen könnte, mache er sich aber nicht. „Ich gehe fest davon aus, dass die künftige Regierung von einer Koalition der beiden Rechtsparteien gebildet wird“, meint Smolar.
Große Begeisterung löst die Aussicht auf ein Comeback der Rechten allerdings kaum aus. Denn PO und PiS sind Nachfolgeparteien der erst vor vier Jahren abgewählten AWS. Es sind also durchweg bekannte Gesichter. Zu erwarten steht auch der bekannte Streit über die richtige Außen- und Wirtschaftspolitik. Doch die heiße Phase der Koalitionsverhandlungen dürfte wohl erst nach der Präsidentenwahl beginnen. Denn zu heftiger Streit könnte den jeweiligen Kandidaten schaden.
Mehr und mehr gereizt ist schon heute Jan Rokita, der Parteivorsitzende der liberalen PO: Er rechnete sich die größten Chancen auf den begehrten Posten des Regierungschefs aus, besuchte sogar einen Intensivkurs im Ausland, um sein Englisch aufzupäppeln. Doch nun scheint sein Rivale Jarosław Kaczyński von der rechtspopulistischen PiS doch noch an ihm vorbeizuziehen. Der Zwillingsbruder des Präsidentschaftskandidaten Lech Kaczyński entdeckte nämlich in den letzten Tagen seine soziale Ader und lässt seither kein gutes Haar mehr am neoliberalen Programm des künftigen Koalitionspartners PO.
Ob es Tadeusz Mazowiecki mit seinen liberalen Demokraten erneut in den Sejm schaffen wird, ist völlig offen. Nach einem fulminanten Wahlkampfauftakt sackte die Partei, die sich aus Politikern der früheren Freiheitsunion (UW), der SLD sowie dem derzeitigen Regierungschef Marek Belka zusammensetzt, immer mehr ab. Heute liegt sie in Umfragen unter 5 Prozent, wie auch die traditionelle Bauernpartei PSL.