Hamburger Szene von Petra Schellen: Die Psychologie des Busfahrers
Wenn Busfahrer versierte Psychologen sind, kann man das nur begrüßen: Umso sensibler werden sie Fahrgasts Freud und Leid teilen, umso professioneller seine Launen jonglieren. Allerdings muss jeder Psychologe, bevor er auf seine Klienten losgelassen wird, selbst eine Therapie absolvieren, seine eigenen Ecken und Kanten beherrschen lernen.
An dieser Stelle scheint der HVV die integrierte Busfahrer-/Psychologen-Ausbildung jedoch abgebrochen zu haben. Jedenfalls ist so mancher Fahrer ohne Selbstreflexion unterwegs, und das kann durchaus stören.
Zum Beispiel dann, wenn man spät abends am Bahnhof Altona die – dann nur noch selten fahrende – Linie 15 nutzen möchte. Frohgemut merkt man, dass sie schon dasteht, steigt ein und sieht gerührt, dass sich Fahrer und Fahrgast angeregt unterhalten. Das beruhigt, denn ein hellwacher Fahrer wird auch im nächtlichen Straßenverkehr achtsam sein. Etwas unfroh wird man dann angesichts des Themas der Debatte: der fehlenden Freundlichkeit des Fahrers. Denn eigentlich hatte Fahrgast – wohl ein Student – nur fragen wollen, ob der Bus trotz Umleitung an der Sternbrücke halte.
Der Fahrer hatte daraufhin geblafft, das stünde doch alles auf der Haltestellen-Anzeigetafel; solle der junge Mann doch selbst nachsehen. Der wiederum monierte in höflichem Ton des Fahrers Schroffheit, worauf der Fahrer dem Fahrgast Egomanie bescheinigte. So ein Wort kennt nicht jeder, das lässt auf tiefe psychologische Reflexionen, wenn nicht gar Studien schließen.
Allerdings auch auf Verkennung der Situation. Denn ein Chauffeur soll vor allem fahren, und ein schlichtes „Entschuldigung“ hätte die Lage sofort befriedet. Doch der Fahrer verwies den unbotmäßigen Jüngling barsch des Busses. Das wiederum löste bei den hinten sitzenden Passagieren eine Pogrom-Stimmung und laute „Leave the Bus“-Rufe aus, selbstverständlich ohne jede Kenntnis des Sachverhalts. Auf den vermeintlich Schwächeren draufzuhauen ist ja immer schön.
Doch der Jüngling blieb, und schließlich telefonierte der Fahrer mit einem Polizisten, der sagte, er käme gleich. Damit allerdings muss er sich viel Zeit gelassen haben. Denn obwohl die anderen Passagiere, inzwischen längst ausgestiegen, den Bus noch eine ganze Weile beobachteten – vielleicht würde er ja doch noch fahren – erschien kein Peterwagen.
Und noch tagelang hallten den Fahrgästen, die irgendwann mit anderen Linien Umwege fuhren, noch des Fahrers Worte „Und Sie sie sind ein ausgemachter Egozentriker“ im Ohr. Psychologen nennen so etwas Projektion.
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