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Archiv-Artikel

Verfassungsschutz schredderte noch mehr

NSU-AFFÄRE Die Chefin des Berliner Geheimdienstes verschwieg die Vernichtung von Neonazi-Akten. Innensenator Frank Henkel (CDU) kündigt nach der zweiten Schredder-Aktion „Konsequenzen“ an

BERLIN taz | Die Berliner Verfassungsschutz-Chefin gerät stärker unter Druck: Am Dienstag musste Claudia Schmid einräumen, dass in ihrem Amt Akten über das militante Neonazi-Musiknetzwerk „Blood and Honour“ geschreddert wurden. Schmid wusste davon seit August – und schwieg bis gestern.

Die Akten waren laut Schmid bereits im Juli 2010 von zwei Mitarbeiterinnen in einem hauseigenen Schredder vernichtet worden. Anders als vorgeschrieben, seien diese vorher nicht dem Landesarchiv angeboten worden. Schmid will darüber im August informiert worden sein. Da das Schreddern aber weit vor Bekanntwerden des rechtsterroristischen NSU im November 2011 gelegen habe, habe sie „die Brisanz nicht erkannt“, sagte sie.

Aber: Bereits vor einer Woche musste Schmid einräumen, dass ihr für Rechtsextremismus zuständiger Referatsleiter noch im Juni dieses Jahres – nach Monaten NSU-Diskussion – 57 Altakten über Berliner Neonazis zum Schreddern freigab. 32 davon waren zur Archivierung vorgesehen, darunter Ordner zur Neonazi-Band „Landser“.

In deren Umfeld bewegten sich auch Vertraute des Neonazi-Trios, etwa der Sachse Thomas S. Der lieferte Sprengstoff und half den dreien beim Untertauchen – und war auch Kopf bei „Blood and Honor“. Im September musste Innensenator Frank Henkel (CDU) einräumen, dass S. zudem zehn Jahre lang V-Mann der Berliner Polizei war. Henkel verschwieg das, obwohl er es seit März wusste.

Die Schredder-Aktionen nannte Schmid „bedauerliche Versehen“. Noch am Freitag mussten sie und Henkel sich in einer Sondersitzung des Berliner Verfassungsschutzausschusses dafür verantworten. Die Opposition kritisierte nun scharf, dass dort von dem neuen Schredderfall keine Rede war. Henkel soll erst am Montag informiert worden sein.

Auch er zeigte sich verärgert: Offenbar gebe es „ernsthafte strukturelle Probleme beim Berliner Verfassungsschutz, die seit Jahren ignoriert worden sind“. Dies könne „nicht ohne Konsequenzen bleiben“. Die will Henkel am Mittwoch verkünden, wenn der Ausschuss erneut tagt. Gut möglich, dass diese auch Schmid treffen; sie selbst ließ persönliche Konsequenzen offen. Die Affäre erfasst aber längst auch Henkel selbst. Die Vorgänge im Verfassungsschutz seien „haarsträubend“, kritisieren die Piraten. Sollte Henkel die Probleme nicht in den Griff bekommen, „ist er als Innensenator gescheitert“. KONRAD LITSCHKO