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Archiv-Artikel

The French Connection of Brunswick

SITZFLEISCH Von Jahr zu Jahr wird das internationale Filmfest in Braunschweig frankophiler. Neben Filmreihen und Preisträgern färbte dies auch auf den Publikumspreis „Heinrich“ ab

VON WILFRIED HIPPEN

Mit den geladenen Ehrengästen hatte das diesjährige Filmfest Braunschweig in diesem Jahr sowohl Pech wie auch Glück. Eine Lücke blieb dadurch, dass der Filmkomponist Philippe Sarde aus persönlichen Gründen seinen Besuch kurzfristig absagte. Olivier Gourmet war dagegen ein Glücksgriff. Sogar viele der angereisten Cineasten und Kritiker gaben zu, vorher noch nicht von dem belgischen Schauspieler gehört zu haben, dem in diesem Jahr der europäische Schauspielpreis „Europa“ verliehen wurde. Im letzten Jahr hatte Isabelle Huppert im wahrsten Sinne des Wortes die Stadt mit einem kurzen Besuch beehrt. Sie war nur ein paar Stunden in der Stadt, kam ganz selbstverständlich über eine Stunde zu spät zu ihrer Pressekonferenz und verbat sich jede unautorisierten Fotoaufnahme. Gourmet reiste dagegen schon einen Tag vor der Preisvergabe an, freute sich sichtlich über den Preis und gab bei gleich fünf Vorführungen der kleinen Werkschau mit seinen Filmen ausführliche und sehr informative Einführungen.

Dass bisher nur von französischen Künstlern die Rede war, ist kein Zufall, denn in Braunschweig wird von Jahr zu Jahr immer deutlicher das gallische Kino bevorzugt. So gibt es nicht nur mit der „Kinema“ einen deutsch-französischen Jugendpreis, der von einer Jury aus beiden Ländern vergeben wird und die inzwischen etablierte Reihe mit Filme aus der Haute-Normandie. Zudem wurde noch ein Porträt des franko-kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve gezeigt. Und der Publikumspreis Heinrich ging dann auch noch an den Spielfilm „Des Vents Contraires“ von Jalil Lespert. Dies ist ein eher ruhiger Film, in dem den Schauspielern viel Raum gegeben wird, ihren Figuren Tiefe zu geben. Erzählt wird vom mysteriösen Verschwinden einer Frau, die ihren Ehemann und zwei Kinder zurücklässt. Die Familie versucht einen Neuanfang in einem kleinen Küstenort in der Bretagne, doch langsam wird klar, dass dies unmöglich ist, solange es keine Lösung des tragischen Rätsels gibt. Eine gute Entscheidung bei diesem starken Wettbewerb, in dem auch das tschechische Sozialdrama „Flower Buds“ und der deutsche Spielfilm „Staub auf meinem Herzen“ (mit Susanne Lothar in ihrer letzten Rolle) überzeugten.

Es gehört zur guten Tradition des Braunschweiger Filmfests, dass dort auch immer eine Auswahl von originellen Dokumentarfilmen gezeigt werden, auch wenn es für sie keine eigene Programmschiene gibt. Und auch auf dieser Ebene war dies ein guter Jahrgang des Festivals. Stanislav Mucha ist einer der Stammgäste in Braunschweig. Seit „Absolut Warhola“ im Jahr 2001 hat er so gut wie jeden seiner Filme hier präsentiert. Mit „Die Pfandleiher“ ist er wieder in Bestform. In drei deutschen Pfandleihhäusern stellte er sich zum Teil buchstäblich mit seiner Kamera hinter den Tresen und bekam so zum Teil sehr komische Einblicke in das Metier. Mucha hat ein Talent dafür skurrile Menschen zu finden und ihre Wunderlichkeiten so zu zeigen, dass sie nie vorgeführt werden. So etwa hier die Familie eines Waffenpfandleihers, bei denen man das Gefühl hat, die Waffen seien für sie eher Fetische als Pfandstücke.

David Sieveking hatte vor zwei Jahren einen Überraschungserfolg mit seinem Film „David wants to fly“, indem er von seinen Erfahrungen mit David Lynch und der Organisation für Transzendentale Meditation erzählte. Dabei stellte er sich selber in den Mittelpunkt, wurde so zum Hauptdarsteller seines eigenen Films, der dadurch die Form eines Filmtagebuchs erhielt. Mit der gleichen Methode zeigt er in „Vergiss Mein Nicht“, wie seine eigene Familie mit der schweren Demenz seiner Mutter umgeht. Dabei gestattet er intime Einblicke in seine Familiengeschichte, die von seinem Vater und seinen Geschwistern gestattet werden. Es gelingt Sieveking zu zeigen, was für eine selbstbewusste, schöne und kluge Frau seine Mutter vor ihrer Krankheit war. Umso erschütternder ist dann der von ihm realistisch gezeigte Krankheitsverlauf.

„The Artist is Present“ von Matthew Akers & Jeff Dupré ist dagegen ein völlig konventionell inszeniertes Künstlerporträt, das nur durch die faszinierende Persönlichkeit der Protagonistin überzeugt. Im Mittelpunkt der Dokumentation steht die Retrospektive der Performance-Künstlerin Marina Abramovic im New Yorker Museum of Modern Art. Neben Rekreationen einiger ihrer Aktionen mit jungen Künstlern wurde dort ihr neues Projekt verwirklicht. Während der Dauer der Ausstellung saß die Künstlerin während er gesamten Öffnungszeit auf einem Stuhl und die Besucher konnten sich ihre gegenüber hinsetzten und ihr schweigend in die Augen sehen. Der Film macht deutlich, was für eine Anstrengung dies für die Künstlerin bedeutete, Marina Abramovic (die übrigens in den 90er Jahren als Professorin an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig lehrte) erzählt ihre Lebensgeschichte und es werden Archivaufnahmen von ihren früheren Performances gezeigt. So werden hier zugleich detailreich und aus intimer Nähe eine Kunstgattung und eine faszinierende Persönlichkeit vorgestellt. Und als Filmfestbesucher konnte man schön mitleiden, denn auch hier brauchte man gutes Sitzfleisch.