: Neu bei Lidl: Protest statt Profit
Billig ist nicht alles: Vor einer Discounter-Filiale protestieren 100 Gewerkschafter gegen schlechte Arbeitsbedingungen. SPD, Grüne und Linkspartei unterstützen die Aktion. Kunden zeigen Verständnis
VON RICHARD ROTHER
Proteste gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Schikanen bei Lidl: Erstmals in Berlin haben gestern rund 100 Menschen vor einer Filiale des Lebensmitteldiscounters Lidl für mehr Rechte für Beschäftigte demonstriert. Die Aktion der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di vor einer Filiale in der Heinrich-Heine-Straße in Mitte bildete den Abschluss einer so genannten „Kundenwoche“, die die Gewerkschaft bundesweit durchgeführt hatte.
Die Kundgebung in Mitte wurde von hochrangigen Politikern von SPD, Grünen und Linkspartei.PDS vor Ort unterstützt, darunter die Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz, der Linkspartei-Landeschef Stefan Liebich und die Arbeitsmarktexpertin der SPD-Abgeordnetenhausfraktion, Sieglinde Grosse. Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) sagte: „Mitbestimmung und das Recht, mit Unterstützung der Gewerkschaften Betriebsräte zu gründen, sind Grundpfeiler unserer Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft. Das gilt auch für Lidl.“ Billige Preise seien nicht alles. „Die Forderungen der Lidl-Beschäftigten nach fairen Arbeitsbedingungen sind genauso recht und billig.“
Mehrere Redner lasen Passagen aus dem so genannten „Schwarzbuch Lidl“ vor, in dem Praktiken des rasant wachsenden Konzerns beschrieben werden. Demnach werden unliebsame Mitarbeiter – dies seien solche, die entweder für ihre Rechte eintreten oder einfach nicht die Norm erfüllten – durch Drohungen und falsche Anschuldigungen aus dem Betrieb gedrängt. So sei ein häufiger Kündigungsgrund, dass die Kasse nicht stimme, dies beruhe aber oft auf Manipulationen der Vorgesetzten.
Sarah Bormann von der Nichtregierungsorganisation WEED wies auf die globalen Folgen der „Discountierung im Einzelhandel“ hin. Die großen Ketten diktierten mit ihrer Marktmacht auch die Preise bei den Zulieferern weltweit. Diese würden den Druck unmittelbar an die Beschäftigten, etwa in Brasilien oder Bangladesch, weitergeben.
Bei Kunden und Verkäuferinnen stieß die Kundgebung auf ein geteiltes Echo. Die Aktion sei „sicher berechtigt“, sagte ein Kunde. Er müsse für die Firma seines Chefs bei Lidl einkaufen. „Das ist eine Preisfrage.“ Eine junge Frau aus Kreuzberg sagte: „Ich kann die Aktion gut verstehen.“ Teurere Geschäfte könne sie sich aber nicht leisten, und Aldi sei ihr zu schmuddelig. Eine Verkäuferin nannte die Aktion „albern“. Die Gewerkschafter wüssten nicht, „was bei Lidl wirklich abgeht“. Eine andere meinte: „Na, sollen sie mal machen.“ Woanders sei es noch schlimmer.
Lidl wies die Kritik zurück. „Die verleumderischen Behauptungen von Ver.di und DGB, dass Lidl seine Mitarbeiter wie Menschen zweiter Klasse behandelt, weisen wir auf das schärfste zurück. Das Gegenteil ist der Fall“, hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens. Ver.di gehe lediglich gegen Lidl vor, um seinen Mitgliederschwund zu stoppen.
Mit der Aktion spricht Ver.di aber in erster Linie die Kunden an. Die Forderung: „Stärken Sie den Beschäftigten den Rücken!“