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Archiv-Artikel

Zögern, davongehen, zurückkehren

Kühl, unsentimental und formbewusst. Und ein Film über einen Zustand der Verlorenheit, von „lost in translation“, im Hin und Her der Sprachen und der Lebensentwürfe: Henrike Goetz’ Debüt „Make My Day“ beobachtet Menschen, die in ihrem Leben unterwegs sind, als ginge es sie nichts an

von EKKEHARD KNÖRER

Hee-Jin (Young-Shin Kim) ist schwanger von Ralf (Ralf Verpalen), aber sie liebt ihn nicht. Sie wird ihn nicht heiraten, versichert sie ihrer Mutter, die kein Deutsch versteht und die Weigerung ihrer Tochter genauso wenig. Hee-Jin verliebt sich in Laurent (Laurent Vivien), einen Franzosen in Berlin mit zwei Kindern in Paris. Und einer älteren Frau mit Geld, die ihn heiraten will. Das aber erfährt Hee-Jin erst, als sie Berlin verlässt, in Paris nach Laurent sucht, ihn findet und, weil sie ihm nicht traut, ihm folgt. So gelangt sie in die Wohnung der anderen Frau, „sag stopp“, sagt sie, „wenn du mich willst“, Laurent hält sie nicht auf.

Es gibt keinen Streit, gleichmütig gleiten in „Make My Day“ die Leben aneinander vorbei. Ein Haften an den Dingen, den Personen scheint immer nur für Momente möglich. Es gibt dafür keinen Grund, es ist einfach so. Auf psychologische Erläuterung ist der Film nicht aus, er beobachtet Menschen, die in ihrem Leben unterwegs sind, als ginge es sie nichts an. Von den Thesen, dem Lärm, den Aufgeregtheiten, die man in einem Film wie „Die fetten Jahre sind vorbei“ findet, ist hier nichts zu spüren. Das Berlin, das man dort sieht, befindet sich in einer anderen Welt.

Hee-Jin ist gestrandet in Paris, aber sie will nicht zurück nach Berlin, nicht nur, weil ihre Mutter sie aus der Wohnung geworfen hat. Sie hat kein Geld, selbst das billigste Hotel kann sie sich nicht leisten. An einer Bushaltestelle quatscht sie ein älterer Herr an, er ist Maler, gespielt wird er von der Schauspielerlegende Lou Castel. Castel hat bei Fassbinder gespielt, bei Wenders, bei Garrel. Hee-Jin zögert, geht davon, kehrt zurück, spricht mit ihm. Sie wird ein paar Mal bei ihm übernachten, aber eine dauerhafte Bleibe findet sie nicht. Sie zeltet, sie wird von einem Amerikaner angequatscht, aber wir sehen ihn nicht, sie will den Zugang zum Zelt nicht öffnen. Dann geschieht ein Unglück, das Zelt brennt ab, Hee-Jin irrt über ein Feld vor der Stadt, auf einer großen Straße rauscht der Verkehr vorbei. Darauf eine Ellipse, die verblüffend jener ähnelt, mit der Angela Schanelec in ihrem beinahe zeitgleich entstandenen Film „Marseille“ von Marseille nach Berlin schneidet. Hee-Jin ist zurück, Zeit ist vergangen, und alles geht einfach weiter.

„Make My Day“ ist ein Film über einen Zustand der Verlorenheit, einen Zustand lost in translation, im Hin und Her der Sprachen und der Lebensentwürfe, der kleinen Katastrophen, der beiläufigen Schicksale, des Glücks, das ausbleibt, und des Unglücks, das keine Tragödie ist. Henrike Goetz ist in ihrem Spielfilmdebüt gewillt, kein Aufhebens zu machen um das, was geschieht. Es gibt minimale Verdichtungen zu einer Art Erzählung, Andeutungen von Kurzgeschichten. So belügt Hee-Jin die Frau im Auto nach Paris (gespielt von der Regisseurin), die eine Mitfahrerin mit Führerschein gesucht hat. Auf einer Raststätte kommt es zum Streit, als Hee-Jin gesteht, dass sie nicht fahren kann. Die Frau wirft sie aus dem Auto – und nimmt sie später wieder mit. So wird, eine weitere Erzählminiatur, Chad, wieder auftauchen, der Mann vor dem Zelt in Paris, er ist jetzt in Berlin, sie sind unterwegs durch die Nacht, Chad und Hee-Jin und ihre Freundin, deren Liebesgeschichte mit Ralf auch schon wieder vorüber scheint.

Henrike Goetz’ unaufgeregtes Debüt ordnet sich nahtlos in jenen Zusammenhang kühler, unsentimentaler und sehr formbewusster Filme ein, der in Frankreich inzwischen als „La nouvelle vague allemande“ wahrgenommen wird. Neben der „Berliner Schule“, für die Namen wie Angela Schanelec, Christian Petzold oder Thomas Arslan stehen, beginnt sich ein weiterer Produktionskontext jüngerer Filmemacher abzuzeichnen, ein kreativer Zusammenhang rund um Ulrich Köhler – an dessen Debüt „Bungalow“ Goetz mitgeschrieben hat – und den „Klassenfahrt“-Regisseur Henner Winckler, der hier zwei Kurzauftritte hat. Dazu gehören der Kameramann Patrick Orth, der „Make My Day“ produziert hat, aber auch die Videokünstlerin Jeanne Faust, die hier beratend tätig war, von der es aber auch einen so faszinierenden wie verstörenden Interviewfilm mit Lou Castel gibt, der sich nun in diesen Spielfilm hineinzuverlängern scheint.

„Make My Day“ ist mit minimalem Budget, zum Teil mit Laien auf Digital Video gedreht, von Produktionswerten kann nicht die Rede sein. Er ist von jeder Perfektion weit entfernt, und er ist in seinen Formentscheidungen weniger rigide, als es Schanelec oder Petzold sind. Der Mangel an Pathos der Form jedoch entdramatisiert das Geschehen auf durchaus angenehme Weise. Henrike Goetz hat ein genaues Gefühl für den zögerlichen Rhythmus dieser Leben, das Vor und Zurück, das Verlorensein auf Plätzen, in Städten. Es gibt keinen falschen Ton in diesem Film, und das ist nicht wenig.

„Make My Day“. Regie: Henrike Goetz. Mit Young-Shin Kim, Laurent Vivien u. a., D 2004, 86 Min., läuft leider nur mit einer Kopie im Berliner fsk-Kino