: Kommt jetzt Krieg?
Deutschland (21) – die wöchentliche Kolumne aus der Republik von Henning Kober. Heute: Vom Verstummen
Es ist Nacht. Valtin und ich sitzen auf dem Holocaust-Mahnmal und machen uns Sorgen ums Land. Es ist irgendwann vor elf. In der Kuppel des Reichstages laufen die Letzten nach unten. Eine Schulklasse auf Wandertag sammelt sich. „It’s still the people, stupid“, sagt Valtin und da ist kein Erstaunen in seiner Stimme.
Im Abstand einiger Tage erklärt sich alles. Es war Samstagabend, als der dämlichste Deutsche zufälligerweise zum Seher wurde: In Stefan Raabs Wahl-Show voteten die Zuschauer alle Überraschungen vorab. Die CDU hart geschlagen, die SPD erstaunlich gut, FDP und Linkspartei zu stark.
Wie es dazu kam? Merkel hätte richtig Arbeit bedeutet. Schröder natürlich auch, obwohl er es kaschierte. Instinktiv wählte das Land die einzige Variante, die ihrer Neigung entspricht. Das Klischee vom Land der Fleißigen ist eine Wirtschaftswunder-Legende, Faulheit ist schöner, also: große Koalition, zur Sicherheit.
Von unten, aus den Gängen der Grafitti-resistenten Stelen, dringen dumpfe Laute: „Uaah, raaw.“ Es hallt. Jungs spielen Schrecken. „Das macht mir wirklich Angst“, meint Valtin und zittert sich eine Zigarette an, „dieses Verstummen im Jubel.“
Das saß bei Raab auf den Rängen und war der Nachwuchs der Parteien. Die Zukunft: Jubel-Politiker. Sie schrien, trampelten, streckten Plakate für ihre Idole, für „Guuuido!“, „Gährd!“ oder „Angschie!“. Leider sahen auch die Grünen nicht viel besser aus in ihren zu großen Partei-Shirts. Es war wie beim Fußball, starre Begeisterung und der stumpfe Drang, bei den Siegern zu sein. Und ein Currywurst-Kanzler auf Speed liefert dazu das Unterhaltungsprogramm. Von unten, eine Männerstimme, glucksend: „Roli, die Sau onaniert.“
Klar ist, jetzt in diesem Moment noch krasser als sonst schon: Die Arbeitslosigkeit ist nicht das größte Problem.
„Vielleicht wird es Krieg geben“, meint Valtin. „Vielleicht würde alles gut, verstriche all die schöne Zeit mit lauter Musik statt sinnfreiem Hoffen auf Politik-Heilung“.
Er ist kein Idiot, nur Idealist.
Und was machen wir jetzt? Ein letzter Tanz, Saison-Abschluss in der „25“. Dann schnell nach England, Kate Moss besuchen.