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Archiv-Artikel

Traumstrände auf der Käse-Insel

Menorca liegt im Schatten der großen Schwester Mallorca. Bausünden sind rar, weshalb Menorca mit unberührten Meeresbuchten glänzen kann. Denn Menorca lebt nicht nur von Touristen, sondern auch von schmackhaftem Käse

von HARALD KOTHER

Menorca, das bedeutet so viel wie „die kleinere“ – im Gegensatz zu Mallorca, das für „die größere“ Insel der Balearen steht. Und Menorca unterscheidet sich nicht nur in der Größe von seiner berühmt-berüchtigten Nachbarinsel. Auf Menorca gibt es keinen Ballermann. Rummelplätze und Endlos-Shopping-Meilen sucht man vergebens. Dafür bietet die Insel unverbaute Traumstrände, Gin und leckeren Käse.

Ein holpriger Fahrweg schlängelt sich den Hang hinunter, mitten durch einen dunkelgrünen Pinienwald. Der Weg wird steiler, windet sich. Plötzlich öffnet sich der Blick auf die Bucht: Im tiefsten Türkisgrün schimmert das Wasser. Kein Gebäude, kein Hotel, noch nicht einmal ein Strandkiosk stört die Idylle. Nur Sandstrand, links und rechts Kalkfelsen und ein paar Badegäste. Auf Menorca gibt es sie noch, die unverbauten und traumhaft gelegenen Badebuchten mit den feinen Sandstränden.

Das Wasser liegt absolut ruhig in der Bucht – wie in einer Badewanne. Das offene Meer ist nicht zu spüren, denn die verwinkelte Bucht ist von Klippen umschlossen. Von einem etwa zehn Meter hohen Felsüberhang aus befriedigt eine Gruppe Halbwüchsiger ihren Übermut – und tut es den Klippenspringern von Acapulco gleich. Das lustvolle Gekreische hallt hundertfach von den weißen Klippen wieder. Schnorchler erkunden einen grottenartigen Felsüberhang. Einige Ruderer wagen sich mit dem Kajak aus der Bucht hinaus.

Reiseführer Ralf Freiheit erklärt: „Solche Buchten gibt es überall entlang der Südküste Menorcas. Von den Hügeln im Norden kommend haben Bäche und Flüsse tiefe Schluchten in die Insel gegraben. Überall dort, wo die Schluchten aufs Meer stoßen, haben sich diese Buchten gebildet.“

Kein Wunder also, dass man schon nach wenigen Minuten Fußmarsch auf die nächste Bucht stößt: Cala Galdana. Auch hier leuchtet das Wasser in den schönsten Türkis- und Blautönen, Felsen und Strand strahlen im Sonnenlicht. Allerdings wird das Landschaftsbild jäh von zwei Hotelhochhäusern unterbrochen, die sich wie große Riegel in die Bucht hineinschieben. Cala Galdana gehört zu den wenigen Orten Menorcas, die unter dem Tourismus gelitten haben.

Dabei spielte der Tourismus noch bis vor kurzem nur eine unbedeutende Rolle auf der Insel – ein Glück, denn so blieben Menorca die Hotelbau-Exzesse, wie man sie von anderen Reisezielen rund ums Mittelmeer kennt, erspart. Die meisten Buchten sind nach wie vor unbesiedelt – seit Menschengedenken. Die Menorquiner zogen es schon immer vor, im Hinterland zu wohnen. Dort waren sie vor Piraten sicher und betrieben in aller Ruhe Landwirtschaft.

Deswegen stößt man auch überall im Landesinneren auf prähistorische Spuren: Taulas, das sind riesige tischförmige Skulpturen, sowie schiffsförmige Gebäude, die so genannten Navetas. Diese wurden zunächst als Wohngebäude, später als Begräbnisstätten genutzt. Außerdem ist die gesamte Insel von Talaiots übersät. Dabei handelt es sich um etwa zehn Meter hohe Türme, die wahrscheinlich zur Verteidigung genutzt wurden.

Diese uralten Hinterlassenschaften sind einzigartig für Menorca. Sie prägen das Bild des Hinterlands genauso wie die saftigen Weiden. Denn die Insel ist fruchtbar. Überall im Landesinneren grasen Kühe, die ihre Milch für eine der bekanntesten Köstlichkeiten der Insel geben: den „Queso Mahón“, also den typischen Inselkäse Menorcas.

In der Käserei Hort de Sant Patrici nahe dem Dorf Ferreries kann man den Mitarbeitern durch eine Glasscheibe beim Käsemachen zusehen. Dort wird die Spezialität noch nach alter Tradition und überlieferten Rezepten hergestellt: aus Rohmilch, in Stofftücher zum Reifen gewickelt und für mehrere Stunden in einem übergroßem Schraubstock gepresst. Danach lässt man den Käse reifen.

Im benachbarten Käsemuseum erfährt man alles über den Käse, dessen Herkunftsbezeichnung genauso geschützt ist wie Parma-Schinken oder Champagner: Menorca ist nach wie vor eine der größten Käseproduktionsregionen Spaniens. Auch deswegen blieb die Küste der Insel weitgehend unberührt. Der Käse sorgt bis heute für Wohlstand und Beschäftigung. Den Tourismus hat man als Wirtschaftsfaktor nicht unbedingt nötig.

Eine weitere kulinarische Spezialität Menorcas ist der Gin. Zwar wächst auf der Insel mit dem feuchtwarmen Klima nirgendwo Wacholder, der Grundstoff dieser Spirituose. Doch die Briten, die im Jahre 1708 die Insel besetzten, wollten auf den Gin nicht verzichten. Und sie blieben lange genug, damit sich auf der Insel eine Ginproduktion entwickeln konnte.

Das Empire war begeistert vom natürlichen Hafenbecken der heutigen Inselhauptstadt Mahón – oder Maó, wie es in der Inselsprache Katalan heißt. Die Bucht von Maó bildet den größten Naturhafen Europas. Von hier aus griff die Seestreitmacht des Vereinigten Königreichs in den Spanischen Erbfolgekrieg ein, bei dem ganz Europa miteinander im Clinch lag.

Den Menorquinern kamen die britischen Besatzer nicht einmal ungelegen, denn wie diese sympathisierten sie mit den Habsburgern – und nicht mit dem französischen König! Die Briten blieben fast ein ganzes Jahrhundert, prägten Kultur und Gesellschaft und hinterließen die typischen rot getünchten Kolonialbauten.

Mittlerweile gehört die Ginfabrik Xoriguer am Hafen von Maó zu den größten Attraktionen Menorcas. In dem kleinen Laden der Fabrik stehen Holzfässer als Tische mitten im Raum, darauf eine Vielzahl offener Flaschen zum Degustieren. Wer will, nimmt sich ein Schnapsglas und probiert den Gin und die vielen anderen Liköre, die die Fabrik herstellt: Kamillenschnaps, Rosenwassergeist, Pfefferminz- und Kaffeebohnenlikör. Kein Verkäufer drängt zum Kauf. „Poc a poc“ – immer mit der Ruhe – dieses menorquinische Lebensmotto gilt bei Xoriguer als ungeschriebenes Gesetz.

Überhaupt herrscht auf der gesamten Insel eine ausgesprochen geruhsame Atmosphäre. Es gibt keinen Jetset und keine wilden Strandpartys. Wohl gerade deswegen fühlen sich viele Prominente auf der Insel wohl – der spanische König Juan Carlos und der Premier José Zapatero gehören zu den regelmäßigen Gästen.

Auf das für Spanien typische Stadtleben trifft man einzig in Ciutadella. In den verwinkelten Altstadtgassen der Stadt herrscht reges Gedränge. Auf dem Markt vor dem Rathaus preisen Händler ihre Waren an. Unten, am Hafen, reiht sich ein Restaurant an das andere. Dort stehen Tische und Stühle bis auf die Straße, fast alle Plätze sind besetzt.

Ciutadella ist die quirlige Stadt, die man als Tourist von einem Mittelmeerurlaub erwartet. Sie bildet auch geografisch einen Gegenpol zum kolonial geprägten Maó. Denn beide Städte liegen am jeweils anderen Ende der Insel. Und so wie es scheint, liegt es nicht nur an der geringeren Entfernung, dass die Fähre nach Mallorca von Ciutadella aus fährt – und nicht von Maó.