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Archiv-Artikel

House oder Haus am Strand

An Ibiza klebt das Image der „Party-Insel“. Jeden Sommer feiern junge Briten und Deutsche in den Clubs die Nächte durch. Doch die alte Hippie-Destination hat auch andere Reize. Mit ihnen will die Regionalregierung verstärkt Normalurlauber anlocken

VON REINHARD ADEL

Mit dem menschlichen Biorhythmus ist es so eine Sache im Sommer, denn der gerät dann ordentlich aus dem Tritt. Wo zur besten Schlafenszeit die internationale Partygemeinde in Ekstase die Leiber schüttelt, entfernt am frühen Nachmittag ein Putzkommando Kippen und Alkoholreste der Nacht von Tresen und Boden. „Richtig in Schwung kam die Saison wie in den Jahren zuvor Ende Juni“, sagt Jesús Turel, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit des legendären Clubs Amnesia. Erst ab Oktober wird die unzüchtige Schwester Mallorcas wieder den Urlaubern gehören, die die Regierung der Balearen in Zukunft verstärkt umwerben will: Normaltouristen mit dem nötigen Kleingeld.

Bei der Fahrt über die Insel im Mietwagen versteht der Besucher, warum den Tourismusstrategen der konservativen Regierung das Party-Image ein Dorn im Auge ist: Allein für nächtliche Exzesse mit anschließendem Ausnüchtern im Sand ist sie eigentlich zu schade. Durchs heruntergekurbelte Fenster dringt mediterraner Kiefernduft, das Wasser in den zahllosen Badebuchten möchte man am liebsten trinken, die herausgeputzten Dörfer im Inselinneren laden zum Verweilen ein, und die Dalt Vila, die von mächtigen Mauern umgebene Altstadt von Ibiza-Stadt, wurde nicht ohne Grund von der Unesco 1999 zum Weltkulturerbe ernannt.

Für Tomás Méndez, Dozent an der Tourismusakademie ETEIF in Ibiza, ist das einstmalige Rückzugsgebiet für Hippies aus aller Welt inzwischen Opfer des eigenen Ruhmes. „Wir dürfen den Partytourismus nicht verdammen, sollten allerdings künftig verstärkt die anderen Seiten der Insel hervorheben.“ Gleichzeitig müsse die Insel ihre Hausaufgaben machen, denn bei der Infrastruktur sieht der Ökonom Nachholbedarf. „Der Hotelstandard ist im internationalen Vergleich zu niedrig, Strände und Straßen müssten sauberer sein und es fehlt an Parkplätzen.“ Als Grund für die seit Jahren fallenden Übernachtungszahlen (2004 minus 7,7 Prozent) lässt Méndez diese Versäumnisse aber nicht gelten. „Es kommen einfach immer mehr Urlauber, die in der eigenen Ferienwohnung oder bei Freunden wohnen.“

Wie soll es in Zukunft also weitergehen mit Ibiza? Laut Eduardo Gamero, dem Generalsekretär im balearischen Tourismusministerium, muss vor allem am Image gearbeitet werden. „In Deutschland wird Ibiza nur mit Party gleichgesetzt. Doch das entspricht nicht der Realität, die Insel hat viel mehr zu bieten.“ Tourismusdozent Méndez gibt der angestrebten Imagekorrektur freilich kaum eine Chance. „Ein einmal gewonnenes Image zu ändern ist schwieriger als eins zu erlangen.“ Zumal der Ruf Ibizas als Party-Insel bis in die 60er-Jahre zurückgehe.

Amnesia-Sprachrohr Turel sieht in den Plänen der Tourismusstrategen gar „ein utopisches Unterfangen“. Nach Ibiza kämen die Leute um Spaß zu haben, „die Insel gleicht einer schwimmenden Diskothek, in der alles erlaubt ist“. Und das würde sich in den nächsten Jahren auch nicht ändern, ist der gebürtige Madrilene überzeugt. „Nirgendwo auf der Welt wollen so viele schöne Menschen so viel Spaß haben.“

Die Zeiten, als Ibiza noch für hagere Hippies mit Rauschebart und selbst gedrehten Cigarillos stand, die im Drogenrausch von einer besseren Gesellschaftsordnung träumten, sind längst Vergangenheit. Heute ist der Bart ab, zum Vorschein kommt viel nackte Haut, eingehüllt in Textilien, wie sie die Schönen und Reichen zwischen Los Angeles und Berlin tragen.

„Insel der Eitelkeiten“ bezeichnet der Münchner Erich Königsbauer seine Wahlheimat, die er vor 15 Jahren gegen die Bajuwarenmetropole eintauschte. Mit Skizzenbuch und Bleistift in der Hand wartet der 43-Jährige auf dem samstäglichen Hippiemarkt Las Dalias auf Kunden. Im Angebot hat er selbst hergestellten Schmuck, „das machen hier nur noch die wenigsten“. Die Insel ist für ihn ein magischer Ort, und das habe sich bis heute, wo der konservative Inselrat am liebsten von immer neuen Autobahnen redet, nicht geändert. „Es ist wohl das Zusammenleben von Menschen verschiedener Nationalitäten und das hohe Maß an Toleranz“, glaubt Königsbauer. Inzwischen preist der Hippie-Nachwuchs den Touristen weiße Ibiza-Gewänder Made in Nepal an.

„Wenn Sie im Tourismus auf das Partyvolk verzichten wollen, dann schneiden Sie sich nur ins eigene Fleisch“, so Königsbauer. Weil Urlauber die nahezu einzige Einnahmequelle sind, verbringt Königsbauer den Dezember in der Heimat, „auf dem Schwabinger Weihnachtsmarkt, wo ich meinen Schmuck verkaufe“. Noch ist der Sommer aber nicht vorbei, und an Optimismus fehlt es nicht. „Die Party wird wohl noch eine Weile weitergehen“, sagt Tourismusdozent Méndez. Die Behörden kündigten aber an, mit verschärften Kontrollen ein Ausufern des partysüchtigen Volks wie in den vergangenen Jahren zu unterbinden.

Wie schon in den Vorjahren reisen die Nachtschwärmer vor allem aus Großbritannien an. Die Deutschen, vermutet Méndez, werden sich mit den Spaniern den zweiten Platz teilen, gefolgt von Franzosen und Italienern. Insgesamt rechnet Méndez wieder mit leicht steigenden Übernachtungszahlen, „das hängt aber letztlich auch von der Wirtschaftslage in den Herkunftsländern ab“. Amnesia-Öffentlichkeitsarbeiter Turel lässt die allsommerliche Ekstase in den Clubs inzwischen kalt. „Das geht bis 30, dann macht der Körper das nicht mehr mit. Ich bin jetzt 43, zu alt für so etwas.“ Sagt’s und klopft sich in seinem jetzt ruhigen Tanztempel einen Zigarettenkippe vom Ärmel.