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Archiv-Artikel

Anna und Otello im Viermastzelt

Am Theater Aachen startet der neue Intendant Michael Schmitz-Aufterbeck mit drei Premieren seine erste Spielzeit unter Stoffbahnen. Dafür gibt es statt Sessel bequeme Schalensitze. Erst Ende des Jahres wird die neue Obermaschinerie fertig sein

AUS AACHENSTEFANIE TYROLLER

Ein gut gelaunter Michael Schmitz-Aufterbeck nahm zur Auftaktpremiere seiner Aachener Intendanz dessen Ende schon mal salopp vorweg: „Vielleicht wird man einmal sagen, es war eine Ära“. Mit dem neuen bunten Theatermagazin, in dem einem auf der Aufschlagseite die knallige Werbung eines Möbelhauses entgegenschreit, ist ihm und seinem Team immerhin schon eine Zäsur hinsichtlich des Marketings gelungen. Der bunte Strauß an Abonnement-Angeboten, der ebenfalls mit griffigen Entscheidungshilfen angepriesen wird, unterstreicht die neue Haltung zum Aachener Publikum: Theater ist kein abgehobener Musentempel, sondern ein Ort des täglichen Geschehens, zur Freizeitbeschäftigung mit kulturellem Mehrwert, die den Bezug zum eigenen Leben nicht vermissen lässt.

Künstlerisch bleibt – wen will das nach einer Schauspiel- und einer Opernpremiere wundern – das Profil der neuen Intendanz noch im Nebel. Obwohl das gigantische Theaterzelt mit über 800 Sitzplätzen in der Aachener Soers, das bis Mitte November als Ersatzspielstätte dient, bereits den zirzensischen und unterhaltsamen Aspekt von Schmitz-Aufterbecks Theater unterstreicht. Die Bühne, die von drei Seiten durch Zuschauersitze eingerahmt ist und die permanente Geräuschkulisse durch die (gut funktionierende) Ölheizung erfordern das Spektakel, die große Szene und lautstarke Dialoge. Dabei ist Verdis Oper „Othello“ wegen der musikalischen Wucht gegenüber der Bühnenadaption des Tolstoj-Romans „Anna Karenina“, in dem individuelle, psychologisch entwickelte Beziehungsmuster durchgespielt werden, eindeutig im Vorteil.

Der neue Chefregisseur Ludger Engels macht aus der Not eine Tugend und sucht für die von Chefdramaturgin Ann-Marie Arioli erstellte Bühnenfassung von „Anna Karenina“ in der Hauptsache Bühnen füllende, bewegte Tableaus, um Tolstojs ausschweifende und detaillierte Beschreibung der russischen Adelsgesellschaft zu verdichten. So rutscht die Gesellschaft zum Auftakt mit Schlittschuhen auf die Bühne. Die Idee ist wunderbar, da sie eine frühe Schlüsselszene des Romans einfängt und gleichzeitig das glatte, unsichere Terrain übersetzt, auf dem sich die anbahnenden Beziehungen bewegen. Doch auf dem Holzfußboden, den Bühnenbildner Volker Thiele in einer riesigen Welle von hinten nach vorne abfallen und auf einem Plateau enden lässt, wird das elegante Schlittschuh-Gleiten eher zum lauten, unruhigen Gepolter. Diese Unruhe setzt sich bis zur Pause in den über die Bühne verteilten Handlungs-Momenten fort. Auch die zahlreichen originellen Ideen wie E-Gitarren-Töne als Ballmusik oder das von den Schauspielern Pedal betriebene Versatzstück eines Zuges verlieren sich im Rausch des Aktionismus: Den Schauspielern, die zwischen emotionaler Empfindsamkeit, ironischer Brechung und eindeutiger Typisierung schwanken, fehlt der Spannungsbogen.

Doch im zweiten Teil ist plötzlich alles anders. Da kommt Ruhe ins Spiel, da stimmt das Timing, da konkurrieren die sich parallel abspielenden Aktionen nicht, sondern machen Gegensätze transparent und fordern die Aufmerksamkeit der Zuschauer, auf Details zu achten. Und Engels findet eindrückliche Bilder: Der Hochzeitsschleier von Kitty überzieht die komplette Bühne und auch Anna Karenina mit einem weißen Schleier der Unschuld und des Vergessens, während sie auf der hölzernen Welle nach vorne schreitet.

Die Opernpremiere „Othello“ am Tag danach füllt mit der bombastischen Musik, den überzeugenden Stimmen und einer reduzierten, aber gut austarierten Inszenierung (Frank Hilbrich) mühelos den großen Raum. Der breite Laufsteg, der die Bühne dominiert und ein Chor, der als Publikum verkleidet immer wieder aus den Zuschauerreihen auf die Bühne kommt und das Drama um Othello (Norbert Schmittberg) und Desdemona (Irina Popova) voyeuristisch begleitet, unterstreicht von Anfang an den öffentlichen Charakter dieser Beziehung. Die geschickte Lichtregie konzentriert den Blick der Zuschauer auf die Figuren und ihre Beziehung zueinander und schafft so dichte und emotionale Momente.

Am Donnerstag ist als dritte Premiere im Zelt das Familienstück „Die rote Zora“ zu sehen. Diese Inszenierung kehrt als Weihnachtsstück mit dem Ensemble zurück ins renovierte Große Haus. „Anna Karenina“ und „Othello“ werden bis dahin noch im Zelt abgespielt.

DO, 29.09., 11:00 UhrDie rote Zora (Premiere)Infos: 0241-4784244