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Archiv-Artikel

Das neue Flüstern

Zwischen Chanel und le Waldsterben: Mit ihrer Band Forêt-Noire will die Sängerin Kitty Hoff das Chanson von seinem kabarettartigen Muff befreien und für den Massenmarkt fit machen

VON THOMAS WINKLER

Beginnen wir mit einer Richtigstellung. Das Wort Chansonnette, so Kitty Hoff, die es wissen muss, denn sie wird nicht selten als eine solche bezeichnet, ist nicht nur „furchtbar“ und „grässlich“, sondern wird zudem auch noch grundfalsch verwendet. Denn, und das kann jeder bestätigen, der des Französischen halbwegs mächtig ist, Chansonnette ist die Verniedlichung von Chanson und heißt mithin also eigentlich „kleines Lied“. Die Interpretin von Chansons müsste richtig vielmehr, führt Frau Hoff weiter aus, die Berufsbezeichnung Chansonnière tragen, „aber das ist ja noch schlimmer“.

Als Alternative für das heute erscheinende Debütalbum „Rauschen“ schlägt Hoff die Bezeichnung „Chansonjazzpop mit deutschen Texten“ vor. Wohl wissend, dass diese Schublade so wenig griffig ist, dass sie sich nicht im Popgeschäft verfestigen wird. Bleiben wir also beim Chanson, denn die Begleitband Forêt-Noire spielt so, Hoff singt so und die Erscheinung mit Bob und Charleston-Kleidchen, gestreiften Krawatten und klassischen Anzügen wirkt so. Zudem nennt Hoff vornehmlich die große alte Dame Barbara als Vorbild und die Helden des „Nouvelle Chanson“, allen voran Benjamin Biolay, als großen Einfluss.

Ansonsten aber ist die in Münster aufgewachsene Hoff um Abgrenzung bemüht: Unter Chanson würden meist eher die kabarettartigen Auftritte einer Georgette Dee verstanden, aber: „Damit bin ich eigentlich durch.“ Oder die Friedrich-Hollaender- und/oder Georg-Kreisler-Liederabend-Programme unterbeschäftigter Schauspieler, denen sie am liebsten zurufen möchte: „Macht doch mal was Eigenes, ruht euch nicht jahrelang auf den alten Geschichten aus.“ Oder gar die Chartsstürmerin Annett Louisan: „Ganz nett, aber die schreibt nicht selbst. Von diesen Texten würde ich keinen singen.“

Deshalb schreibt Hoff selbst, alle Texte und auch die Musik, darauf legt sie Wert. Zugleich kann sie dem Erfolg von Louisan doch einiges abgewinnen – die Hoffnung nämlich, von ihm „vielleicht sogar zu profitieren“, denn Besetzung und Sound sind mit Forêt-Noire vergleichbar. Aufgrund der „neuen Hörerfahrungen“ könnte der Zugang ihrer Musik zum Massenmarkt leichter vonstatten gehen. Die Unterschiede sind ihr dennoch bewusst: Hoff hat nicht nur ihre vokalen Fertigkeiten klassisch gebildet, sondern ist garantiert „nicht so ein kleines Hüpferchen, das irgendwelche Liebeslieder singt“. Da täuscht ihre eher zarte Statur, und im Gespräch wirkt sie zupackend.

Nein, die Songs der zweifachen Mutter sind keine verkappten Tagebucheinträge und kennen Schwulst nur als Abziehbild. Wenn die studierte Sängerin und Tänzerin Lieder schreibt, dann in der Tradition des Dreiminutendramas. Pferde werden per „Postpaket“ verschickt, der „Leichtmatrose“, dessen Dasein allzu romantisch geschildert wird, wäre viel lieber Bäcker geworden, und der Protagonist von „Kleiner Hund“ riecht nach Chanel und sehnt sich eigentlich nach Philosophie.

Die Songschreiberin Hoff, die mit einem Hobby-Chorleiter als Vater und einer Sängerin als Mutter ihren Teil an Blockflöten-Unterricht und Hausmusik abgeleistet hat, bleibt stets auf Distanz, scheint fast verwundert und ein wenig spöttisch auf das Leben um sie herum zu blicken. Währenddessen aber bemüht sich die Musik um Nähe, „als würde einem jemand was ins Ohr flüstern“, wie Hoff das nennt.

Ihre erste eigene Band – sie sagt: „die Jungs“ – nach verschiedenen Songprogrammen und einem Engagement bei Die Damenkapelle, hat Kitty Hoff „Forêt-Noire“ getauft, weil das auf Französisch charmant klingt und recht absurd ist, denn natürlich kommt keiner der Musiker, die sich nebenbei immer noch größtenteils als Musikpädagogen durchschlagen müssen, aus dem Schwarzwald. Immerhin präsentieren sie auf ihrer Website eine kleine Abhandlung über „le waldsterben“, das es mittlerweile in Frankreich zum umgangssprachlichen Terminus gebracht hat: „Das Ausland hat den Begriff immer für übertrieben gehalten. Die Franzosen spielen damit auf die romantische Waldverliebtheit der Deutschen und ihre Neigung zu dramatischen Übertreibungen an.“ Das habe sie einfach lustig gefunden, sagt Hoff.

Womöglich hat sie sich aber ja auch unbewusst absichern wollen gegen alle potenziellen Vorwürfe: Wenn die Franzosen unsere Sorge um den lieben Wald nicht ernst nehmen, brauchen wir auch deren Sorgen um das Kulturgut Chanson nicht allzu ehrfürchtig zu behandeln. Und können uns erlauben, einer Chansonnière Kitty Hoff zuzuhören, die zwar nicht respektlos, aber doch sehr selbstbewusst ganz Eigenes aus dem Genre entwickelt.

Kitty Hoff und Forêt-Noire: „Rauschen“ (Virgin/EMI); morgen live in Clärchens Ballhaus, am 29. 9. beim Chansonfest im Grünen Salon