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Archiv-Artikel

Kein Abzug in Sicht

Tausende demonstrieren in London für einen Rückzug aus Irak. Auch Labour-Abgeordnete fordern Zeitplan

DUBLIN taz ■ Alle sprechen vom Abzug britischer Truppen aus dem Irak: Am Samstag demonstrierten mehr als 10.000 Menschen in London dafür. Bei einer Meinungsumfrage sprachen sich 57 Prozent der Befragten für den Rückzug aus. Und Verteidigungsminister John Reid sagte am Wochenende, dass die Soldaten bereits im nächsten Frühsommer heimkehren könnten. Allerdings fügte er hinzu, dass er sich „nicht schämen werde, die Voraussage zu revidieren, sollten sich die Umstände ändern“.

Die Umstände haben sich längst geändert, aber das behält Reid vorerst für sich, um nicht für noch mehr Zündstoff auf dem Labour-Parteitag zu sorgen, der heute im südenglischen Seebad Brighton beginnt. Zahlreiche Hinterbänkler werden von Premierminister Tony Blair einen detaillierten Rückzugsplan verlangen. Blair werde den Irak morgen in seiner Parteitagsrede erwähnen, versicherte sein Sprecher. „Aber er wird keinen Zeitplan für einen Abzug vorlegen“, sagte er, „sondern über den Prozess der Demokratisierung und die Verbesserung der Sicherheit sprechen, die Voraussetzungen für den Rückzug unserer Truppen sind.“

Diese Voraussetzungen sind in weite Ferne gerückt, nachdem zwei britische Geheimagenten vorige Woche in Basra von der irakischen Polizei verhaftet worden waren, weil sie bei einer Kontrolle das Feuer auf die Polizisten eröffnet hatten. Britische Soldaten brachen daraufhin die Gefängnismauern mit Panzern nieder, um die Agenten zu befreien. Ein irakischer Richter forderte am Wochenende, die beiden Agenten wegen Mordes an einem Polizisten und unerlaubten Waffenbesitzes anzuklagen.

Die britische Regierung hingegen plant, die 25.000 Mann starken Polizeikräfte im Südirak aufzulösen und stattdessen eine Art Militärpolizei einzusetzen, deren Mitglieder genauestens auf irgendwelche Verbindungen zu illegalen Milizen überprüft werden sollen. Da die Ausbildung der neuen Truppe rund ein Jahr dauern wird, ist an einen britischen Rückzug nicht vor 2007 zu denken.

Eigentlich wollte die britische Regierung ihre Soldaten bereits zum Jahresende aus zwei der vier britisch besetzten Provinzen, Maysan und al-Muthanna, zurückziehen. Bis Mai sollten die Truppen auch aus Basra und Dhi Qar abrücken. Blair hatte im August die japanische Regierung informiert, da die 550 japanischen Soldaten im Südirak im Fall eines britischen Rückzugs das Land ebenfalls verlassen müssten. „Tatsache ist, dass die Rückzugspläne des Verteidigungsministeriums in einem fortgeschrittenen Stadium waren“, sagte ein Militärsprecher der Zeitung Scotland On Sunday. „Tatsache ist aber auch, dass das jetzt unmöglich ist.“

RALF SOTSCHECK