: LA DONNA
PROTOKOLL ANDREA DERNBACH Daniela Hamaui war die erste Chefredakteurin des italienischen Nachrichtenmagazins »L’Espresso«. Heute leitet sie die Zeitschrift »D«. Ein persönlicher Bericht
Die italienische Journalistin Daniela Hamaui, geboren 1954 in Kairo, war 2002 die erste Chefredakteurin des L’Espresso, den sie bis 2010 leitete. Das 1955 gegründete Nachrichtenmagazin spielte in Italien, vor allem in den sechziger und siebziger Jahren, als Leitmedium eine ähnliche Rolle wie in Deutschland der Spiegel. Hamaui hatte zuvor für La Repubblica, neben dem Corriere della sera die linkere der beiden großen nationalen Zeitungen Italiens, das Supplement D (für „Donna“, „Frau“) entwickelt und sechs Jahre lang geleitet. Bevor sie D im September ein weiteres Mal übernahm, verantwortete Hamaui sämtliche Beilagen und Supplemente von Repubblica und die Monatszeitschriften der Espresso-Gruppe.
„Ich bin Chefredakteurin, weil auch in Italien ab und zu das Leistungsprinzip funktioniert. Ich bin weder die Tochter einflussreicher Leute noch hatte ich Beziehungen. Ich habe Italiens älteste Journalistenschule absolviert und für die Mailänder Lokalredaktion von La Repubblica geschrieben. Zu D kam ich, weil ein befreundeter Kollege den Auftrag hatte, die Möglichkeiten einer neuen Frauenbeilage für Repubblica auszuloten. Ich half ihm. Als der Verlagschef fragte, woher er als Mann das alles wisse, erzählte er von mir. Der Chef war zuerst wütend – das Projekt war streng geheim – aber er wollte mich kennenlernen. Am Ende war ich Chefredakteurin von D.
Sechs Jahre danach riefen sie wieder an: Der Espresso braucht wen, wir haben an dich gedacht. Du kommst zwar nicht aus der Politik, aber du hast ein intelligentes Blatt gemacht. Und so wurde ich die allererste – nicht nur in Italien – Chefredakteurin eines Nachrichtenmagazins.
Tatsächlich hatte D damals völlig verändert, was bis dahin in Italien für Frauenzeitschriften galt. Es hieß, die Frauen wollten Unterhaltung. Ich meinte, dass sie als menschliche Wesen behandelt werden, informiert werden wollten. Natürlich hatten wir Mode und Kosmetik, aber wir haben über Kinder in Mosambik berichtet und als erste über die Säuremorde an Frauen in Bangladesh. D wurde auch von Männern gelesen, die ein Frauenblatt nie angerührt hätten.
Männer geben Macht nicht auf. Sie kämpfen
Mir war klar, dass ich auch anderes konnte. Aber der Anfang beim Espresso war fürchterlich. Im Grunde kein Wunder: Männer geben keine Machtposition gern auf, sie kämpfen – und nun führte eine Frau diese Festung des Journalismus!
Zudem wurde das Blatt in Rom gemacht, hatte eine starke Bindung an die Politikszene. Und ich war mit 47 Jahren jünger als viele Kollegen. Ich galt als unpassend. Dass ich etwas von Politik und Wirtschaft verstehen könnte, glaubte keiner und das ließen sie mich spüren. Ich habe ordentlich gelitten.
Geschafft habe ich es vermutlich, weil Zeitungen Monarchien sind, wie Scalfari sagte, der Gründer von Repubblica. Chef ist Chef. Ich wollte aber nie Königin spielen, sondern Leute um mich haben, die besser sind als ich. Einen Teil der Mannschaft konnte ich wechseln, ich konnte in Qualität und Vielfalt investieren. Das hieß auch: in Frauen. Ich habe immer sehr gern mit Frauen zusammengearbeitet, nicht weil ich gegen Männer wäre, sondern weil sie anders sind. Ich war früher gegen Quoten, aber da bin ich klüger geworden: Wir brauchen die Mischung aus Leistungsprinzip und Druck per Quote.
Jetzt bin ich wieder bei D. Ein Rückschritt? Diese Zeitschrift hat Frauen genutzt, für mich ist sie kein Ghetto, sondern eine Chance. Im Zeitungsjournalismus sind wir gerade an einem schwierigen Punkt, die Auflagen brechen ein. Nicht nur in Italien, ich habe gerade die Zahlen von Bild und Spiegel gesehen. Es sind nicht nur die Werbeeinnahmen. Man liest uns weniger und die Journalisten beklagen sich darüber. Darf sich ein Supermarktbetreiber empören, wenn keiner mehr seine Pasta will? Vielleicht sollten wir einfach etwas Appetitlicheres servieren.
Der Schlüssel sind nach meiner Überzeugung Gefühle. Damit meine ich nicht Liebe, Sentimentalität. Viele große Themen, die wir in D oder Espresso gemacht haben, lösten starke Gefühle aus; man hat das Blatt anders weggelegt, als man es aufgeschlagen hatte. Ich hatte für D übrigens auch dunkles, schweres Papier gewählt, das sich wie Seide anfühlte. Ich meine, dass auch das ein Grund für den Erfolg war.
Obamas Sieg: Eine Geste von Großzügigkeit
Und ich vermute, heute könnte es um diesen Teil von uns gehen, den wir oft verstecken oder beiseite schieben müssen, zum Beispiel an durchgetakteten Arbeitstagen, an denen wir nur mit dem Computer kommunizieren. Dafür muss Journalismus Platz schaffen. Gerade hat mich Obamas Sieg tief berührt. Eine Geste von Großzügigkeit. Seine Wähler hätten sagen können: Geh’ heim, du hast meine Lage eher verschlechtert. Aber die Frauen, die Hispanics, die Schwarzen, sie sagten: Hier hast du noch eine Chance.
Das möchte ich: Ich will mit D wieder einen Nerv treffen. Ob ich es schaffe, das weiß ich noch nicht.“
Andrea Dernbach hat 14 Jahre als Blattmacherin gearbeitet. Heute ist sie Politische Reporterin des Tagesspiegels. Dass eine Frau nicht befördert wird, weil sie Kinder hat, ein Mann aber mit jedem Kind die Treppe höher fällt, würde sie gern abgeschafft sehen, bevor sie im Frühling 2060 ihren 100. Geburtstag feiert.