»MANAGER SPIELEN IST BEKNACKT«

INTERVIEW ANNE HAEMING UND JANKO TIETZ Julia Jäkel, die neue Frau im Vorstand von Gruner + Jahr, im ersten Interview seit ihrer Ernennung über ihr Arbeitsleben mit Baby, Bürogrößen und Gedöns

■ Das Ziel: Am 5. November haben die Chefredakteure und Sprecherinnen des stern eine Zielvereinbarung zur Förderung von Frauen in der Redaktion unterzeichnet. In den kommenden Jahren sollen 50 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt werden. Das Papier knüpft an die Initiative „Female Factor“ des Gruner + Jahr Verlags an, die unter anderem Regeln für die Auswahl von Führungskräften aufgestellt hat. Die Vorgaben lauten: In der Endauswahl der Kandidaten müssen mindestens 30 Prozent Frauen auf der Shortlist stehen, der Entscheidungsprozess muss dokumentiert werden, bei gleicher Qualifikation werden Frauen bevorzugt.

■ Die Vereinbarung: Die Einstellung von jungen Journalistinnen in Ressorts, in denen Frauen bisher unterrepräsentiert sind, ein Mentoring-Programm für weibliche Talente, mehr Transparenz bei der Besetzung von herausgehobenen Stellen wie etwa Korrespondentenposten.

ProQuote: Frau Jäkel, kurz nach Ihrer Berufung in den Vorstand sagten Sie, Ihnen werde zu viel Rummel darum gemacht, dass Sie eine Frau sind. Warum hat Sie das geärgert?

Julia Jäkel: Ich habe mich nicht geärgert. Ich möchte aber danach beurteilt werden, wie ich mein Unternehmen voranbringe, und nicht danach, ob ich eine Frau oder ein Mann bin.

Wollen Sie kein Vorbild für Frauen sein?

Nein. Das ist nicht mein Ziel. Ich freue mich aber, wenn es in unserer Gesellschaft Frauen gibt, die zeigen, dass sie einen fordernden Job und gleichzeitig eine fröhliche Familie haben können. Wenn ich einen kleinen Beitrag dazu leisten kann – gerne.

Sie hatten Angst vor der Schublade „Quotenfrau“, oder?

Sie werden mich nicht dazu kriegen, etwas Schlechtes über Quotenfrauen zu sagen.

Glauben Sie, Sie haben Ihren Posten auch wegen der aktuellen Frauenquotendebatte bekommen?

Nein. Ich verantworte einen Bereich mit großer unternehmerischer Bedeutung – da werden Sie nicht hingesetzt, weil Sie eine Frau sind. Aber es ist ein Sahnehäubchen, dass heute ein Unternehmen mit einer Frau im Vorstand zeigen kann, dass es ein modernes Haus ist. Mir ist aber schon klar, dass wir etwa auf Chefredakteurs- und Verlagsleiterebene, anders als in unser Geschäftsleitung des Anzeigenbereichs, noch nicht genug Frauen haben.

Was meinen Sie, warum gibt es so wenig Frauen an der Spitze?

Die Gründe sind ja hinlänglich bekannt. Manche Unternehmen tun sich mit der Beförderung von Frauen noch schwer, außerdem ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach wie vor ein massives infrastrukturelles Problem. Und, da müssen wir Frauen auch ehrlich sein, es gibt eine ganze Menge Frauen, die sich das einfach nicht antun wollen. Was ich zurzeit mache, ist anstrengend. Sogar ziemlich anstrengend. Ich schlafe gerade sehr wenig.

Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag seit der Geburt Ihrer Zwillinge verändert?

Ich arbeite definitiv nicht weniger, eher mehr. Ich stehe extrem früh auf, gegen 5.30 Uhr, damit ich noch drei Stunden mit den Kindern habe. Wenn ich keine Abendtermine habe – was ich versuche zu umgehen oder auf nach 20 Uhr zu legen –, dann gehe ich am frühen Abend nach Hause, um die Kinder ins Bett bringen zu können. Danach bin ich aber wieder im Alarmzustand, telefoniere und emaile viel. Das sind die Vorteile unserer digitalen Welt.

Hätten Sie den Job auch gemacht, wenn Ihr Mann Ulrich Wickert nicht von zu Hause arbeiten würde?

Schwierige Frage. Er ist in einer anderen Lebenssituation, nicht mehr in der Karriereaufbauphase, in der man Bürostunden schrubbt, und er ist ein sehr moderner Mann. Wir können uns die Hilfe einer hervorragenden Kinderfrau leisten, das können viele andere nicht. Deutschland ist da vorsintflutlich. Und nun wird stattdessen das Betreuungsgeld eingeführt. Das ist gaga.

Sie haben bei der Pro-Quoten-Initiative nicht unterschrieben. Wieso eigentlich nicht?

Ich bin nicht gefragt worden. Schon eigenartig: Man fragte Journalistinnen, Intendantinnen, aber keine Verlagsmanager. Immerhin habe ich damals quasi die Hälfte des Gruner + Jahr-Deutschlandgeschäfts verantwortet. Aber ich hätte wohl auch nicht unterschrieben.

Und warum nicht?

Ich will ehrlich sein. Ich bin froh, dass ich hier ohne Quote sitze. Es fühlt sich gut an, dass man es nur aufgrund seiner Qualifikation und Leistung geschafft hat. Hätte ich unterschrieben, hätte das automatisch bedeutet, Gruner + Jahr sei dafür. So etwas zu beschließen ist Sache des Vorstands. Vor allem aber hatten wir uns schon zuvor sehr straffe Regeln aufgegeben, etwa wie wir Stellen besetzen.

Welche Regeln denn?

Das Ganze läuft unter dem Begriff „Female Factor“. Wir haben festgelegt, dass immer auch Frauen im Auswahlkomitee sitzen und über einen gewissen Zeitraum Frauen bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden. Es gibt Workshops, Mentoringprogramme. Außerdem waren wir das erste Medienunternehmen mit eigener Kita, deren Kapazitäten wurden erneut aufgestockt. Und ab 17 Uhr gibt es keine Sitzungen mehr, Arbeiten von zu Hause ist flexibler möglich. Wir brauchen keine Quote, wir leben das. Das Ganze entstand übrigens fast grassroot-artig.

Wann war das?

Als Frau von der Leyen vor anderthalb Jahren im Spiegel mit Kawumms die Quote forderte.

Gab’s keine Gegner?

Nein. Leute, wir sind ein aufgeklärtes Verlagshaus!

ProQuote fordert 30 Prozent Frauen in Führungspositionen. Ist das zu wenig?

Nein. Ich finde, das klingt vernünftig. Aber die Kollegen der stern-Redaktion haben sich gerade ein Ziel gesetzt: Sie wollen 50 Prozent der Führungspositionen in den kommenden Jahren mit Frauen besetzen.

Dann müsste einer der beiden Chefredakteure gehen.

In dem Papier, auf das sich Redaktion und Chefredaktion verständigt haben, steht: Die Frauen vom stern gehen davon aus, dass dies auch die Positionen der Chefredaktion umfasst. Die Chefredakteure unterstützen dies – soweit es ihnen möglich ist.

Kein Wunder, dass Männer denken, ihre Karriereaussichten seien vorbei.

Immerhin wissen sie jetzt, wie sich Frauen seit Jahren fühlen. Aber: Nur weil Männer Frauen in unserer Gesellschaft so lange im Beruf dominiert haben, heißt das nicht, dass jetzt Frauen Männer verdrängen. Für mich gilt: Leistung wird belohnt. Wer gut ist und pfiffig, der kommt voran. Ob Mann oder Frau, ist mir erst einmal egal.

Wurden Sie auch mal unterschätzt, weil Sie jung und attraktiv sind?

Das habe ich oft erlebt. Etwa auf Veranstaltungen, man unterhält sich, und die kapieren nicht, dass du einen anspruchsvollen Job und Verantwortung für viele Menschen hast. Das passiert immer noch. Und das nervt!

»Wenn mir jemand sein Lebensmodell diktieren will, kann ich nur sagen: Armleuchter! Ich respektiere ja auch Frauen, die zu Hause bleiben wollen«

Erwarten die Kolleginnen im Haus von Ihnen, Frauen nun besonders zu fördern?

Nein. Aber ich spüre bei vielen Frauen eine große Solidarität. Sie schreiben mir: Dass du hier bist, ist super für uns. Das habe ich vor drei, vier Jahren so nicht erlebt. Weder im Haus noch in Deutschland insgesamt.

Als Stephan Schäfer neben seinen vielen anderen Posten auch noch Ko-Chef von Brigitte wurde, dachte man: Haben die keine Frauen?

Über die Berichterstattung habe ich mich maßlos geärgert. Stephan Schäfer bildet eine Doppelspitze mit Brigitte Huber, die einen fulminanten Job macht – und alle konzentrieren sich auf ihn. Die guten Frauen hier im Haus, die in diesem Zuge bei Brigitte, Essen und Trinken und Häuser nach oben kommen, werden gar nicht erwähnt.

Die Titel, die Sie zuvor verantwortet haben, drehen sich alle um „Gedöns“, wie Exkanzler Gerhard Schröder das nannte.

Nur weil ich eine Frau bin, stehe ich für Frauenthemen? Hallo, Leute, ich habe Geschichte und Politik studiert, mein Steckenpferd waren internationale Beziehungen und Außenpolitik. Hackt’s? Ich habe fünf Jahre bei Financial Times Deutschland gearbeitet, Titel wie Beef und National Geographic verantwortet, alles Jungs-Titel. In die Gedöns-Ecke werde ich erst geschoben, seit ich im Vorstand sitze. Aber wichtiger: Gut gemachter Journalismus über Frauenthemen oder Interior Design ist kein Journalismus zweiter Klasse, sondern ganz im Gegenteil, im Handwerk auch anspruchsvoll. Aber es gibt noch etwas anderes, das mich umtreibt.

Was denn?

Wie Frauen über Frauen wie mich reden: Vernachlässigt die nicht ihre Kinder? Wie soll das denn gehen, diese Karriere und Familie? Das muss anders werden. Wenn mir jemand sein Lebensmodell diktieren will, kann ich nur sagen: Armleuchter! Ich respektiere ja auch Frauen, die zu Hause bleiben wollen.

Was würden Sie jungen Frauen raten, die nach oben wollen?

Ich habe kein Handbuch parat, aber sie brauchen ein gewisses Maß an Sportsgeist, Zähigkeit und Willen. Das ist unabdingbar. Und verstellen sollten sie sich nicht und nicht versuchen, die besseren Männer zu sein. Manager spielen ist beknackt.

Anne Haeming, 34, ist seit sechs Jahren freie Journalistin und schreibt über Kultur- und Medienthemen, unter anderem für Print- und Onlinemedien wie Spiegel Online, Medium Magazin, FAS und die taz. Sie hat als männliches Rollenmodell einen Vater, der näht, kocht und wäscht.

Janko Tietz, 40, hat an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin volontiert. Er arbeitet seit rund zehn Jahren im Wirtschaftsressort des Spiegels, davor war er Wirtschaftsredakteur bei der Woche. Tietz wundert sich manchmal, wie viel Energie es kostet, Selbstverständlichkeiten zu etablieren.