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Archiv-Artikel

Jenseits von Schlammschlachten

POPKULTUR Der Rolling Stone Weekender ist ein neues Festival, bei dem sich über 30-Jährige zwei Tage in einer Ferienanlage an der Ostsee anspruchsvolle Rockbands anhören. Eigentlich liegt die Idee voll im Trend und wäre ideal für Familien. Aber so richtig einschlagen tut sie erst mal nicht

Es ist ein Festival für Leute, die keine Lust mehr haben auf Zeltplatz, Dixiklo und Dosen-Ravioli

VON KLAUS IRLER

Wenn Frau Petersen aus ihrer Fischbude blickt, dann sieht sie eine rot gepflasterte Fußgängerzone mit kleinen Inseln, auf denen Bäume stehen. Sie sieht einen Biergarten, der hier „Bierkate“ heißt und von der Wand eines Wohnblocks mit Flachdach begrenzt wird. Gegenüber sind die Boutique Katinka und ein Supermarkt. Es ist eine Fußgängerzone, wie man sie Anfang der 1970er-Jahre in norddeutschen Kleinstädten gebaut hat. Ein Ort, dem man eine gewisse Resistenz unterstellen würde gegen Veränderungen jeder Art.

Frau Petersen hat sich längst daran gewöhnt, dass zwar der Ort gleich bleibt, seine Bewohner sich aber ständig ändern. Die Fußgängerzone gehört zum Ferienpark Weißenhäuser Strand, einer Ferienanlage mit 3.800 Betten an der Ostseeküste in Schleswig-Holstein. Der Ferienpark ist eine in sich geschlossene Welt aus Schwimmbädern, Bowlingbahnen und Restaurants, einer der größten Parks dieser Art in Deutschland. Im Sommer sind hier vor allem Familien und Rentner unterwegs. An diesem Wochenende im November ist das anders. An diesem Wochenende sind Leute da, die sonst nie hierherkommen.

Es handelt sich um die Besucher eines neuen Rock-Festivals namens Rolling Stone Weekender, das zwei Tage dauert und komplett im Ferienpark stattfindet. Die Leute sind zwischen 30 und 50 Jahren alt, ihre Kleidung ist nachlässig, aber mit Bedacht ausgewählt, die Männer sind schlecht rasiert, aber tragen gut designte Brillen mit dicken schwarzen Gestellen. Die Leute sehen aus, als wäre das Thema Individualität früher einmal sehr wichtig für sie gewesen. Heute wirken sie abgeklärt und erwachsen. „Unkompliziert“ nennt es Frau Petersen, die kürzlich auch die Gäste eines parkeigenen Oktoberfestes erlebte. „Die machen keine Probleme.“

Sie sind ja auch bestens versorgt an diesem Wochenende. Der Rolling Stone Weekender ist ein Indoor-Festival, bei dem die Konzerte in beheizten Räumen stattfinden und die Besucher in den Ferienpark-Appartments übernachten. Es ist ein Festivalformat für Leute, die bei Festivals vor allem die Musik schätzen und keine Lust mehr haben auf Zeltplatz, betrunkene 20-Jährige, Dixiklo und Dosen-Ravioli.

Der Rolling Stone Weekender ist eine Reaktion auf das Phänomen, dass heutzutage die Rockmusik und ihr Publikum unabhängig von Altersfragen zueinanderfinden, wenn die Bands und der Rahmen stimmen. Zu beobachten ist das unter anderem beim Haldern Pop Festival, das wegen seines qualitätvollen Programms und seiner überschaubaren menschlichen Dimensionen berühmt geworden ist – im Gegensatz zu Megaveranstaltungen wie Rock am Ring oder Roskilde.

Eigentlich müsste der Rolling Stone Weekender einschlagen wie eine Bombe, aber das tut er nicht. 2.500 Besucher sind gekommen, Platz wäre für 4.500. War das Programm zu speziell? Die, die gekommen sind, würden die Frage sicher verneinen. Die Headliner sind die Flaming Lips und Wilco, außerdem spielen an zwei Abenden unter anderem Billy Bragg, Kettcar, Brett Dennen, Editors und The Soundtrack Of Our Lives. Dazu gibt es Lesungen von Heinz Strunk und Frank Schäfer, und es gibt das volle Programm des Ferienparks: Minigolf, Schwimmbad, Sauna. Und dann ist da noch die Ostsee, ruhig gelegen hinter Dünen am Sandstrand. Der Preis für zwei Übernachtungen und den Eintritt bewegt sich je nach Appartement pro Person zwischen 119 und 219 Euro.

Kleinstadt der Experten

Außerdem ist der Preis für den Komfort eine gewisse Toleranz gegenüber Stilfragen. Der zentrale Bereich des Festivals ist eine Wandelhalle mit der Atmosphäre eines Einkaufszentrums, in der sich Restaurants, Candy Corner und Bowlingbahn aneinanderreihen. Die Fassaden sind in zuckrigem venezianischem Stil gehalten und so augenscheinlich künstlich, dass den Vollbartträgern im Publikum die Currywurst im Hals stecken bleibt. Aber das ist nicht entscheidend, schließlich gibt es zum Flanieren den Ostseestrand. Und die Hauptbühne ist untergebracht in einem jener großen Zirkuszelte, die die Leute aus den Zeiten kennen, als sie noch Festivals im Freien besuchten.

Tatsache ist: Man hat es beim Weekender mit Experten zu tun. Mit Musikfreaks, die schon länger in der alternativen Rockmusik zu Hause sind.

Unter einem gedrechselten Balkonimitat in der Wandelhalle hat der Hamburger Peter Schupp seinen Platten- und CD-Stand aufgebaut. Er ist mit dem Publikum und den Umsätzen voll zufrieden. „Das sind interessierte Leute, die hören auch zu, wenn da nur einer mit seiner Akustikgitarre auf der Bühne steht, den sie gar nicht kennen.“ Außerdem sind es Leute, von denen viele bei den lauteren Konzerten Ohrstöpsel benutzen, was auf eine gewisse Konzertgängerroutine schließen lässt: Es gibt im Freizeitpark keine Ohrstöpsel zu kaufen. Wer welche hat, hat sie selbst mitgebracht.

Bezeichnend auch: der Männerüberschuss. „Wir müssen die Frauenquote noch anheben“, sagt Veranstalter Folkert Koopmans. Wie er es sich erklärt, dass im Verhältnis so wenige gekommen sind? „Kennen Sie Frauen, die Platten sammeln?“, ist seine Gegenfrage. Frauen hätten jenen Musikfanatismus nicht, der die Männer dazu bringt, Musikmagazine wie den Rolling Stone zu lesen. Der übrigens als Kooperationspartner und Namengeber mit im Boot ist, weil er „die Musikrichtung des Festivals repräsentiert“, sagt Koopmans.

Wen die Veranstalter neben den Frauen auch nicht erreicht haben, das sind die Familien. Die Bäder, die Minigolfanlage und ein Kletterparadies hätten Familien locken sollen, außerdem hatte der parkeigene Kindergarten ausnahmsweise bis 20 Uhr offen und man hätte individuelle Babysitter für 5 Euro pro Stunde buchen können.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag waren dann gerade mal fünf Babysitter im Einsatz, und tagsüber im Kindergarten haben die Angestellten fast nichts zu tun. Der Familienbesuch auf einem Rockfestival scheint kein weit verbreitetes Bedürfnis zu sein. „Wundert mich nicht“, sagt eine Mitarbeiterin im Animationsbereich. „Wenn ich auf ein Festival gehen würde, dann würde ich meine Kinder auch zu Hause lassen.“

So ist es mit dem Festival wie mit der Dauerkarte für den überdachten Sitzplatz im Fußballstadion: super Sache. Mal wieder mit den Freunden was unternehmen. Außen rum lauter Experten. Viel Geld verbraten, aber was soll’s. Und dafür, dass die Frau zu Hause beim Kind bleibt, übernimmt man halt die Babysitterschicht an Silvester.