Berliner Szenen: Luther in Friedrichshain
Paradies der Vielfalt
Die Feierlichkeiten zu 500 Jahren Reformation haben auch Friedrichshain erreicht. Am Frankfurter Tor steht ein mannshohes rotes Tor aus Karton. Der Satz „Das Paradies ist überall“, der dem ollen Luther zugeschrieben wird, ist in weißen Lettern aufgedruckt. Von Ostern bis Pfingsten werden zum Reformationsjubiläum in der ganzen Stadt „kleine Paradiese“ ausgerufen. „Sie erzählen von der Reformation und ihren Auswirkungen auf unseren Alltag“, las ich in einem Flyer. „Rund um diese Orte herum finden sich häufig Einrichtungen, die den Sehnsuchtsort Paradies bereits im Namen führen.“ Als Beispiele wurden „die berühmten Döner- oder Teppichparadiese“ angeführt. So schnell kann es gehen, dachte ich, dass man in einem Paradies lebt, ohne es zu merken.
Weil ich weder katholisch noch evangelisch bin, wollte ich wissen, was Luther mit meinem Stadtteil zu tun hat, und las den Flyer besonders aufmerksam. „Wenn der schwäbische Neu-Berliner auf seinem Fahrrad sich genauso zu Hause fühlt wie die alteingesessene Bäckersfrau und der Betreiber des Kiosks auf dem U-Bahnhof, wenn die Studi-WG und das Rentnerehepaar im selben Bau des sozialistischen Klassizismus ihr Zuhause haben, dann kommt man der populären Vorstellung vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg schon ziemlich nah. All diese Kontraste liegen so dicht beieinander, dass sie zusammengehören und ein wahres Paradies der Vielfalt bieten.“ Aha. Luther soll ja auch gesagt haben, dass das Evangelium nur mit Humor gepredigt werden könne.
Jemand hatte einen 1-Liter-Weinkarton am Luther-Tor entsorgt, einen lieblichen Weißwein. Ich war nicht sicher, ob der zur Installation gehört. Schließlich ist von Luther auch der Satz überliefert: „Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Thor sein Leben lang.“
Barbara Bollwahn
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