: berliner szenen Beim Marathon
Kilometer 17
Hermannplatz. Ich fühle mich gut. Der Puls geht gleichmäßig. Kaum zu glauben, dass ich noch vor wenigen Jahren den Marathonlauf nach durchzechter Nacht vor einer Absturzpinte grölend begrüßte. Später bin ich zu neuen Ufern aufgebrochen, habe mein Leben umgestellt und bin jetzt mitten dabei.
Km 17. Nun fängt es doch ein wenig an zu schmerzen. Ich hole mir besser noch ein zweites Kissen für mein Fensterbrett. Einen schönen Ausblick habe ich hier aus meiner neuen Wohnung: Ich freue mich schon auf den Karneval der Kulturen.
Km 17. Die Rollis sind längst durch und die „Spitzenneger“, wie der Nachbar auf dem Balkon unter mir fachmännisch bemerkt. Man hört gleich, dass er schon länger hier wohnt. Jetzt kommt das Volk. Direkt vor meinem Haus stehen Dixie-Klos, vor denen sich lange Schlangen bilden, vor allem Frauen. Die meisten nutzen das Schlangestehen für Dehnübungen, eine verschickt eine SMS und eine besonders faire zieht sich sogar erst draußen die Hose hoch, damit es für alle schneller geht.
Viertel nach elf und noch immer Km 17. Viele Läufer gehen jetzt. Die wollten nur mal probieren. Selbst optimistisch hochgerechnet landen die inzwischen jenseits von fünf Stunden. Natürlich habe ich Respekt! Eine dermaßen mutwillige Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten imponiert mir kolossal.
Nach den Nordic Walkern kommen die, die nur mal wissen wollen, wie sich ein Sonntagsspaziergang auf gesperrten Hauptstraßen anfühlt. Am Schluss schleicht ein Dicker in orangefarbenem Hemd – ist das der Besenmann? Die Zuschauer sind schon lange weg, und vom Platz dröhnt der Moderator: „Ja! Herzlich willkommen am Hermannplatz!“
ULI HANNEMANN