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Archiv-Artikel

„Auf sachgerechte Fahndung verzichtet“

Ein autistischer Junge wird bei der Polizei als vermisst gemeldet. Die lässt bei der Suche jede Sorgfalt vermissen

Von US

Es gehört zur Natur einer Vermisstenanzeige, dass der Anzeigende hofft, den Vermissten so wiederzufinden. Dass die Polizei bei der Aufnahme der Anzeige die nötige Sorgfalt vermissen lässt, ist peinlich. Besonders peinlich wird es, wenn der Leidtragende ein 15-jähriger, psychisch kranker Jugendlicher ist. Polizeipräsident Dieter Glietsch sah sich gestern genötigt, im Innenausschuss eine Pannenserie zu erklären. Er fand deutliche Worte: „Große Fehler“ der Polizei räumte er ein, die für alle Betroffenen „außerordentlich schlimm“ seien.

Was war passiert? Am Montag, den 5. September, ging ein Betreuer mit dem autistischen Jungen im Düppeler Forst spazieren. Der Ausflug in Zehlendorf endete überraschend, der 15-Jährige lief dem Mann davon. Er meldete seinen Schützling am selben Tag bei der Polizei als vermisst. Die Behörde gab dies ins System ein und veranlasste eine Suchaktion in dem Wald. Ohne Erfolg.

Am Dienstag fanden Kollegen der Bundespolizei den Vermissten am S-Bahnhof Oranienburg. Er fiel auf, weil er keinen Fahrschein hatte und sein Name nicht festzustellen war. Die Bundespolizisten brachten den 15-Jährigen zum Berliner Amtsarzt. Der diagnostizierte seine Krankheit und lieferte ihn in das Krankenhaus in der Eschenallee in Charlottenburg ein. Gleichzeitig wandten sich die Bundespolizisten mit einer Beschreibung Hilfe suchend an ihre Berliner Kollegen. Ohne Erfolg.

Am Mittwoch besuchte ein Polizist des Abschnitts 22, in dem das Krankenhaus liegt, den Jungen. Er redete mit ihm und fertigte eine Vermisstenmeldung an. Am gleichen Tag weitete die Polizei die laufende Suchaktion vor Ort aus. Beamte durchstreiften nicht mehr nur den Düppeler Forst, sondern auch angrenzende Waldgebiete. Die Suche blieb erfolglos.

Am Samstag, fünf Tage nach seinem Verschwinden, wendete sich die verzweifelte Familie mit einer Suchmeldung und einem Bild an Zeitungen. Eine Krankenschwester erkannte daraufhin ihren Patienten, es kam zur glücklichen Familienzusammenführung.

Polizeipräsident Glietsch machte gestern mehrere grobe Fehler aus: Erstens hätten die zuerst mit dem Fall befassten Beamten eine Personenbeschreibung ohne Bild aufgenommen. Es sei nicht vermerkt worden, dass der Junge deutlich älter als 15 aussehe. Außerdem seien die Fahndungsinformationen nicht an alle nötigen Stellen geschickt worden, das Landeskriminalamt Brandenburg blieb zum Beispiel außen vor. „Auf eine sachgerechte, öffentliche Fahndung wurde verzichtet.“ Die hätten dann die Angehörigen eingeleitet.

Man kommt nicht umhin, sich mit dem innenpolitischen Sprecher der FDP so seine Gedanken zu machen: „Ich frage mich“, sagte Alexander Ritzmann, „ob bei gesuchten Verbrechern so etwas auch passiert.“ US