Elektrisierende Impulse

Das deutsche Davis-Cup-Team setzt sich mit einer Energieleistung knapp gegen Tschechien durch und darf nach zwei Jahren Zweitklassigkeit wieder in der Weltgruppe mitspielen

AUS LIBEREC DORIS HENKEL

Die erste Runde Schampus tranken sie aus Plastikbechern, aber einen gewissen Grad der Trunkenheit hatten sie schon im nüchternen Zustand erreicht. An diesem Abend in Liberec kehrten die deutschen Tennisspieler in die Weltgruppe des Davis Cups zurück, und die Freude darüber ließ ihr Blut durch die Adern rauschen. Im Mittelpunkt der Begeisterung stand Thomas Haas, der aus fast aussichtsloser Lage mit einer kolossalen Anstrengung im entscheidenden Einzel den letzten Punkt zum 3:2-Sieg gegen die Tschechen geholt hatte. Zu Freudensprüngen fehlte dem Helden des Abends danach die Kraft, doch für einen kernigen Kommentar langte es noch: „Wir sind endlich wieder da, wo wir hingehören.“

Vor zwei Jahren waren sie nach einer Niederlage gegen Weißrussland abgestiegen, vor einem Jahr hatten sie in Bratislava gegen die Slowaken die Rückkehr in die Eliteliga der besten 16 Mannschaften verpasst, und ein weiteres Jahr in der Zweitklassigkeit hätte fatale Folgen gehabt. Sicher wäre alles leichter gewesen, hätte Haas im ersten Spiel der Begegnung einen seiner drei Matchbälle gegen Tomas Berdych genutzt, aber vielleicht wäre die Freude über das Erreichte am Ende nicht so intensiv gewesen.

Was Teamchef Patrik Kühnen, 39, an diesem Wochenende auf, vor und neben der Bank erlebte, umfasste die ganze Bandbreite der Gefühle. Er sagt, es sei die Hölle gewesen – „da glaubst du immer wieder, es hat sich alles gegen dich verschworen“. Doch er bewährte sich. Haas sagt, ohne die richtigen Worte des Chefs, ohne dessen Zuversicht hätte er das entscheidende Spiel nicht gewonnen.

Siege bauen immer auf, aber solche Siege wie jener von Haas gegen Tomas Zib zählen hundertmal mehr. Wie er sich selbst in den Niederungen der Erschöpfung nicht unterkriegen ließ, als er 6:7 und 1:4 im Rückstand lag, wie er sich auf eine ungeheuer selbstbewusste Art aus dieser misslichen Lage befreite und gewann (6:7, 7:5, 6:2, 6:0), das war ein tolles Ding. Kühnen sagt: „Wie Tommy das umgedreht hat, ist der Wahnsinn. Das war eine unglaubliche Energieleistung.“ Aber genau das, so ein elektrisierender Impuls, kann eine ganze Mannschaft tragen, und genau das hat in den letzten Jahren gefehlt. Der Triumphator selbst meint, ohne den Aufstieg, hätte er das nicht geschafft. „Aber jetzt können wir im nächsten Jahr mal so richtig durchstarten und zeigen, was wir draufhaben.“

Ihren eigenen Anteil haben sie an diesem Wochenende im Böhmischen erst mal geleistet; Haas als Held, Kiefer mit einem Sieg, Alex Waske als Doppelmann und hochtouriger Motor des Teams, Rainer Schüttler und Florian Mayer als engagierte Trainingspartner und mitfühlende, zitternde Beobachter.

Was sie alle miteinander brauchen, ist ein bisschen Glück, wenn am Donnerstag in London die erste Runde für den Davis Cup 2006 ausgelost wird. Wie wichtig es ist, die Regeln bei einem Heimspiel bestimmen zu können, hat man in Liberec gesehen. Tiefer Sand auf eisigem, rutschigen Untergrund und schwere Bälle machten den Deutschen das Leben schwer.

Ob sie träumen, wenn sie sagen, 2006 sei die Chance da, mal wieder im Halbfinale oder Finale zu spielen, wird sich zeigen. „Wir sind alle im besten Tennisalter“, verkündet Nicolas Kiefer. „Es wird Zeit für was Großes!“ Aber selten zuvor in der Geschichte des Davis Cups sind so viele starke Mannschaften im Topf, und da kann man auch schnell wieder in der zweiten Liga landen. Titelverteidiger Spanien und die USA – die Finalisten 2004 – haben sich ihren Platz in der Weltgruppe 2006 wie die Deutschen am Wochenende erst in der Play-off-Runde gesichert. Und die Slowaken, vor einem Jahr in eben jener Play-off-Runde Sieger gegen das Team des DTB, werden Anfang Dezember gegen Kroatien im Finale spielen. Patrik Kühnen weiß, dass er eine starke Mannschaft braucht, und dazu gehört auch, eine Alternative für das Doppel zu finden. Denn bei aller Begeisterung über die Entwicklung der Partnerschaft von Haas und Waske liegt ein Risiko darin, den stärksten Einzelspieler auch im Doppel einzusetzen.

„Ich habe Tommy an diesem Wochenende wie eine Zitrone ausgepresst“, sagt der Teamchef. „Einer wie er braucht zwischendrin eigentlich eine Ruhephase.“ Aber was der noch mehr braucht, das sind Erfolge wie jener am Sonntagabend in Liberec. Für sich und für das Team.