Trägt eine Frau freiwillig einen Schleier? Was ist mit High Heels und anderem Modequatsch? Und was bedeutet „freiwillig“ überhaupt?
: Mit goldener Burka und Achselhaaren durch die Straßen

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Warum macht es mich wütend, wenn mir eine Frau verschleiert gegenübersteht? Frauen kämpfen seit Jahrhunderten um die Gleichberechtigung, und es ist noch lange nicht gut damit. Frauen müssen sich zum Beispiel vorwerfen lassen, dass sie nicht entsprechend aussehen, um eine Meinung haben zu dürfen. Frauen werden überhaupt wegen ihres Aussehens ständig angegriffen. Und das leider nicht nur von Männern, auch Frauen greifen andere Frauen wegen ihres Aussehens an.

Aber, wenn es ein Problem ist, dass Frauen wegen ihres Aussehens angegriffen werden, kann es dann nicht für eine Frau sogar befreiend sein, einen Sack über dem Körper zu tragen, der es unmöglich macht, sie wegen ihres Aussehens anzugreifen? „Die Frau trägt den Sack ja nicht freiwillig“, schreien die einen, die sich sonst nie für die Rechte der Frau einsetzten.

Aber, wissen wir das? Und trägt eine Frau freiwillig diesen ganzen mistigen Modequatsch? Trägt sie freiwillig High Heels? Die sind nicht bequem. Nur mal so am Rande. Färbt sie freiwillig ihre Haare, epiliert sich die Beine, manikürt sich, hungert sich von Diät zu Diät? Was bedeutet „freiwillig“ überhaupt?

Theoretisch steht es jeder muslimischen Frau in Deutschland frei, sich zu verschleiern oder auch nicht. Es gibt kein Gesetz dazu. Es gibt auch kein Gesetz, dass es einer Frau in Deutschland vorschreibt, die Haare an den Beinen zu entfernen.

Die muslimische Frau in Emden, die einen Nikab trägt: Kann sie von der Gemeinschaft der Muslime zum Tragen des Nikabs gezwungen worden sein? Aber die anderen Emder Musliminnen tragen keinen Nikab. Angeblich ist sie die Einzige.

Eine Frau, die ihre Körperhaare wachsen lässt, wird im Internet derb beschimpft. Das kann man durchaus als gesellschaftliche Ächtung sehen. Steht die Frau, die sich weigert, sich zu rasieren, einen BH zu tragen, die sich schlicht weigert, „hübsch“ auszusehen oder es vorzieht, einem anderen Bild zu entsprechen als dem derzeit vorherrschenden, gesellschaftlich akzeptierten, weniger unter Druck, als die Frau, die sich weigert, einen Nikab zu tragen? Immerhin muss die Frau unter dem Gewand sich nicht fragen, ob sie zu fett für die Hose ist. Sie muss sich nicht sagen lassen, dass sie hübscher aussähe, wenn sie mal nett lächeln würde.

Vielleicht ist es das, was die meisten Menschen so wütend werden lässt, wenn sie eine verhüllte Frau sehen. Sie können nicht feststellen, ob sie ihren Ansprüchen an das Aussehen einer Frau genügt. Sie steht, und das ist ja auch beabsichtigt, als sexuelles Objekt, nicht zur Debatte. Sie nimmt sich da raus. Freiwillig oder nicht, das ist die Frage. Da sind wir wieder an derselben Stelle. Wie freiwillig färbe ich mir einmal im Monat die Haare, die am Ansatz nicht grau sein dürfen?

In Emden hat ein Busfahrer wiederholt der einzigen Emder Nikab-Trägerin, einer Algerierin, und ihrer Tochter die Mitfahrt verweigert. Warum, das kann auch der Sprecher des Stadtverkehrs Emden nicht sagen. Dem Busfahrer droht eine Strafe.

Die Kommentarkläuse sind empört. Sie bekunden Respekt und tiefe Bewunderung gegenüber dem Busfahrer. Der Busfahrer, der sich weigert, eine Frau und ihr Kind zu befördern, er ist ein Held und „Opfer unserer feigen Multikultur“. Die Frau, die sich die Beine nicht rasiert, sie ist „abstoßend“ und „ein Waschbär“. Und die Frau, die einen Nikab trägt, sie ist erwiesenermaßen eine, die freiheitliche, demokratische Werte verachtet.

Was ich dazu sage: Eines Tages werde ich mir eine goldene Burka nähen, und dann werde ich – euch Scheißern zum Trotz! – darin durch die Straßen tanzen, mit Achselhaaren, die ich zum Zopf flechten kann. Und eure Wut wird meine Freude sein.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.