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Archiv-Artikel

Lori, du bist dran!

WIDERSTAND Die vierte Landebahn des Frankfurter Flughafens kommt. Doch Eleonore Wagner aus Kelsterbach gibt nicht klein bei. Sie kämpft weiter

„Mensch, Lori“, fragt sie sich manchmal, „machst du dich kaputt? Was will die BI denn noch erreichen?“

VON SYLVIA MEISE

Protest zwecklos: Der Ausbau des Flughafens Rhein-Main ist genehmigt, der Wald ist gefällt, das Nachtflugverbot steht auf der Kippe. Selbst wenn sich die Stadt Kelsterbach gegen den Landverkauf entscheiden sollte, steht eine Zwangsenteignung bevor. Trotzdem hat Eleonore Wagner jetzt eine neue Bürgerinitiative gegründet. „Ich bin keine Linke“, sagt die 59-Jährige, „aber wir werden belogen, und keiner tut was, da dachte ich: Lori, du bist dran“.

Eleonore Wagners hatte ihr politisches Erweckungserlebnis im Februar. An diesem eiskalten Morgen drehte die Vorruheständlerin in ihrer Kelsterbacher Wohnung das Radio auf. Was sie da hörte, machte sie wütend. Ihr Bürgermeister, wurde gemeldet, habe sich mit dem Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport geeinigt und werde jetzt den Wald verkaufen. Eine lokalpolitische Kehrtwende. Später erkannte Wagner, das diese auch noch Zugeständnisse an Fraport beinhaltete, etwa die Übernahme der Lärmschutzkosten durch die Kommune. „Ich war sprachlos.“ Aber nicht lange. Statt wie geplant auf ihre alten Tage in Florida Wärme zu tanken, gründete Eleonore Wagner im Herbst zusammen mit vierzehn anderen die Bürgerinitiative Kelsterbach. Nun stapeln sich in ihrem Arbeitszimmer Baupläne, kommunalpolitische Papiere und Flugblätter – wie das eben ist, wenn man sich ernsthaft einer Sache widmet.

Es ist ihr Jahr der Wandlungen geworden. Angefangen hat es damit, dass ihr das Grundvertrauen in die Politik abhandenkam, nun klagt sie über die Obrigkeitsgläubigkeit ihrer Mitbürger: „Die Leute denken, der Pfarrer, der Bürgermeister und der Doktor werden es schon richtig machen. Bis heute wollen sie nicht glauben, dass da irgendwas nicht rechtens sein könnte.“ Derzeit klärt Wagners Initiative darüber auf, dass nun statt des Nachtflugverbots doch der 24-Stunden-Betrieb kommen soll. Und das, obwohl Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch den Ausbau nur mit Nachtflugverbot versprochen hatte. Nun aber will seine Regierung neben dem „bedarfsgerechten Ausbau“ des Flughafens auch „international wettbewerbsfähige Betriebszeiten“ sicherstellen. Dafür soll das Luftverkehrsgesetz im Hinblick auf Nachtflüge und Lärmschutz „präzisiert werden“.

Wagner springt auf und fragt: „Wollen Sie mal gucken?“ Sie führt auf ihre Dachterrasse. Es dröhnt. Schräg gegenüber hat die Airline Condor ihren Sitz, aber selbst die will wegen des Lärms bald wegziehen. Hinten liegt die Startbahn West, früher hat ein Wäldchen mal den Blick auf die A 3 versperrt. Ab nächstem Jahr wird Wagner auch ungehinderten Blick auf die geplante Brücke über die Autobahn haben, wo künftig die Flieger hinüber zum Airport rollen.

So nah dran wie Eleonore Wagner ist kaum jemand, trotzdem fällt es ihr nach dreißig Jahren schwer, aus Kelsterbach wegzuziehen.

Neben viel Luftverkehrsgewerbe hatte der 15.000-Seelen-Ort bei Frankfurt eigentlich schon mal eine „Bürgerinitiative gegen eine Landebahn“, IGEL. Warum haben die nichts gemacht? „Der Igel ist tot“, seufzt Wagner. Wahrscheinlich an Frustration eingegangen, wie so viele Anti-Ausbau-Initiativen der Region, oder an der grassierenden Angst vor Arbeitsplatzverlust.

Eleonore Wagner war fünfunddreißig Jahre lang Betriebsrätin beim Baukonzern Hochtief. Wenn sie sich früher ein Projekt vorknöpfte, war sie es gewohnt, „etwas zu bewegen“. Doch ihr neues „Hobby“ ist anders, der Protest gegen die neue Landebahn gestaltet sich unübersichtlich. Er macht sie schlaflos. Sie hat manchmal schon fast geheult in Stadtverordnetensitzungen, das neue Luftverkehrsgesetz empfindet sie als persönlichen Tiefschlag.

Dennoch setzt sie mit dem Bürgerbegehren ein Zeichen. Zwar ist die Rücknahme des Kaufvertrags formal gescheitert, weil die Wahlbeteiligung knapp unter den erforderlichen 25 Prozent lag. Aber trotzdem war es erfolgreich: 62 Prozent der Stimmberechtigten haben gegen den Waldverkauf gestimmt und damit den Beschluss des Magistrats gekippt. Jetzt muss neu verhandelt werden.

Doch selbst wenn sich die Initiative durchsetzt, die Stadt den Verkauf des Waldes an Fraport verweigert, ist nichts gewonnen – im Interesse der Öffentlichkeit wird zwangsenteignet.

Manchmal fühlt sich Eleonore Wagner ohnmächtig wie die alten IGEL-Leute. Dann fragt sie sich: „Mensch, Lori, machst du dich kaputt? Was will die Bürgerinitiative denn jetzt noch erreichen?“ Ihre Antwort kommt dann aber schnell: „Kelsterbach soll den Fraport-Deal fallen und sich vom Land Hessen enteignen lassen. Dann hätte die Gemeinde auch gegenüber den anderen Kommunen ihr Gesicht gewahrt.“

Es wird noch bis zum Frühjahr dauern, bis ein neuer Vertrag mit Fraport abgeschlossen sein wird. Bis dahin will Wagner es noch mal wissen. Die ehemalige deutsche Meisterin im Sportschießen will mit den anderen Bürgerinitiativ-Leuten eine eigene Partei gründen, die Bürgerpartei. Es gebe genug zu tun, sagt sie, auch außerhalb des Flughafenthemas.