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Archiv-Artikel

Oppositionskompetenz gesucht

Heute wählt sich die grüne Bundestagsfraktion zwei neue Vorsitzende. Große Chancen werden Renate Künast zugeschrieben. Aber wer wird Nummer zwei?

Für die Grünen-Fraktion wird Opposition „eine sehr große Ernüchterung werden“

BERLIN taz ■ Mit drei Wörtern wollte Grünen-Parteichef Reinhard Bütikofer gestern beschreiben, wie er sich die künftigen Grünen-Fraktionschefs vorstelle: „Bissig, integrativ, zielbewusst – und optimistisch.“ Bütikofer erkannte selbst: „Das waren vier.“ Da wollte sich seine Grünen-Partei-Kochefin Claudia Roth auch nicht lumpen lassen und ergänzte Merkmal Nummer fünf: „… und mit großer Herzenswärme.“

Fünf Attribute für fünf Kandidaten – da kann heute jeder eines für sich besonders betonen. Am Nachmittag soll die neue Bundestagsfraktion der Grünen den beiden Parteispitzen ein weiteres Spitzenpaar gegenüberstellen. Zur Wahl stehen die beiden seit 2002 amtierenden Fraktionschefinnen Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt. Ihre Herausforderer sind die beiden grünen Noch-Minister Renate Künast und Jürgen Trittin sowie der Wahlkampfmanager Fritz Kuhn.

Künast wurden schon die größten Chancen auf ein Spitzenamt zugerechnet, bevor der Noch-Außenminister Joschka Fischer vor genau einer Woche den Rückzug aus der Politik ankündigte. So hatte der Grünen-Übervater zwar das Feld für neue Führungskräfte freigemacht, diesen allerdings im Gespräch mit der taz mit dem Satz „Jetzt kommt die Playback-Generation“ nicht nur gute Wünsche mit auf den Weg gegeben.

Doch war gestern noch unklar, wen die Fraktion, sollte sie sich für Künast entscheiden, der Berlinerin an die Seite wählen würde: Aus Anerkennung für ordentliche, nahezu reibungslose Arbeit eine der beiden amtierenden Chefinnen – oder als Zeichen für einen Aufbruch in eine ganz neue grüne Ära einen der beiden Männer.

Zwölf von den 51 gewählten Fraktionsmitgliedern sind neu im 16. Deutschen Bundestag. Die Kandidaten und die etablierten Parlamentsgrünen behaupteten in den vergangenen Tagen gern, dass „die Neuen“ bei der Wahl zum Fraktionsvorsitz schwer kalkulierbar seien, weshalb sich das Ergebnis nicht vorhersagen lasse. Doch ist ein Grund für die gewisse Unbestimmtheit bei dieser Wahl auch, dass sich mit der Kandidatenkonkurrenz kaum Flügelkämpfe verbinden.

„Fundis“ gegen „Realos“ – das ist vorbei. Die Lager heißen jetzt „Linke“ und „Reformer“, wobei immer wieder auch Extraformationen etwa namens „Regierungslinke“ auftreten. Künast ist schwer einzuordnen. Auch ist das „Reformer“-Lager eindeutig in Göring-Eckardt- und Kuhn-Anhänger gespalten. Ideologische Unterschiede sind nur bei wenigen Themen zu erkennen – etwa bei der deshalb so gern gestellten Frage, wer eine schwarz-grüne Koalition anstrebt.

Hier kann etwa Fritz Kuhn auf Verhandlungen verweisen, die er selbst schon Anfang der 90er Jahre in Baden-Württemberg geführt hatte. Später plädierte er heftig für die Anerkennung von Schwarz-Grün als „diskursive Tatsache“ – also als eine Perspektive, die die Grünen sich er-diskutieren müssten. Nur so sei auch die CDU „unter Reformdruck zu bringen“.

Jürgen Trittin dagegen bekennt sich zum linken gesellschaftlichen Lager und sieht sich in dieser Haltung durch das Ergebnis der Bundestagswahl bestätigt. Schwarz-Grün werde nur im Notfall akzeptiert und sei als Option in Wahlkämpfen eine „richtige Behinderung“, pflegt Trittin zu sagen. Die Grünen verlören dann eher an die SPD.

Zunächst einmal dürfte für die Grünen allerdings der Umgang mit der Linkspartei.PDS interessant werden. Als kleinste Fraktion können die Grünen im Bundestag demnächst erst als Letzte reden – nachdem dort Gregor Gysi und Oskar Lafontaine links aufgetrumpft haben. Die Grünen haben sich zum Ziel gesetzt, die Linkspartei in Sachen Oppositionskompetenz zu überholen und auf diese Weise überflüssig zu machen. Ein ehrgeiziger Plan, gibt eine der Kandidatinnen zu. „Für unsere Fraktion“, seufzt sie, „wird das noch eine sehr große Ernüchterung werden.“ ULRIKE WINKELMANN