: Bei der EU wird jetzt entschlackt
70 Gesetzesvorhaben will EU-Kommissar Verheugen zurückziehen. Künftig sollen Gesetzesvorlagen stärker auf Effizienz geprüft werden
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
Industriekommissar Günter Verheugen wird heute die Gesetzentwürfe vorstellen, die die EU-Kommission im Rahmen ihrer Entschlackungskur für die EU-Bürokratie zurückziehen will. Es handelt sich um eine Liste mit etwa 70 Vorhaben, die teilweise seit Jahren im Gesetzgebungsprozess feststecken. Alle stammen aus der Zeit vor dem 1. Januar 2004, viele aus der Ära von Kommissionspräsident Romano Prodi. Damals sorgte zum Beispiel der Plan, wissenschaftlich nicht belegte Gesundheitswerbung zu verbieten, für öffentliche Aufregung. Die Boulevardpresse behauptete fälschlich, mit dem Spruch „Haribo macht Kinder froh“ dürfe künftig nicht mehr geworben werden.
Aus der umstrittenen „Sonnenschein-Richtlinie“ will die Kommission die Passage streichen, in der der Schutz von Arbeitnehmern vor natürlicher Sonnenstrahlung geregelt werden sollte. Auch dieser Passus war ein dankbares Thema für die Medien. Die EU-Kommission wolle Fußballern die kurzen Hosen und Biergarten-Kellnerinnen das offenherzige Dekolleté verbieten, hatte es geheißen. Auf der Streichliste steht ferner der Vorstoß, das Sonntagsfahrverbot für Lkws künftig EU-weit einheitlich zu regeln. Aufgegeben wird auch der Plan, die Packungsgröße für bestimmte Produkte oder den Aufdruck auf Waschmittelpackungen vorzuschreiben.
Mehr als die Hälfte der Streichungen betrifft allerdings Übergangsregeln für die jetzt abgeschlossene Erweiterung oder nicht mehr aktuelle internationale Verpflichtungen. Deshalb kritisieren Industrieverbände, die Entschlackungskur sei zu zögerlich ausgefallen. „Die meisten aufgeführten Texte sind Anachronismen, die ohnehin gestrichen worden wären“, sagt Hans-Werner Müller vom Europäischen Verband der Mittelbetriebe. Ähnlich enttäuscht äußert sich sein Kollege Paul Skehan vom Europäischen Industrieverband Eurochambers: „Für die Wirtschaft macht das keinen großen Unterschied zu vorher aus.“
Deutlich mehr Hoffnung setzt die Wirtschaft auf die zweite Phase von Verheugens Entbürokratisierungskur. Im Oktober will seine Abteilung einen Vorschlag machen, der die bereits bestehende europäische Gesetzgebung, die immerhin 80.000 Seiten umfasst, entrümpelt und nach Themenbereichen sortiert.
Für die Zukunft soll die EU-Gesetzgebung viel stärker als bislang den Zusammenhang von Aufwand und Ertrag im Blick haben. Jede Abteilung, die einen Gesetzesvorschlag vorlegen will, muss eine umfangreiche Dokumentation mitliefern: Wozu wird das Gesetz gebraucht, welche Studien belegen, dass die Maßnahme zum erhofften Ergebnis führen wird, wie hoch werden die Kosten für die Betroffenen sein? Ohne eine derartige Folgeabschätzung kommt der Entwurf gar nicht erst auf die Tagesordnung der Kommission.
Günter Verheugen bestreitet, dass diese neue Politik zu Abstrichen für den Verbraucher und beim Umweltschutz führen wird. Schließlich könne im 21. Jahrhundert nicht ökonomisch richtig sein, was ökologisch verkehrt sei, versichert der Kommissar.