: Das Fördergeld ist noch nicht eingetroffen
RAINER WERNER FASSBINDERS ERBE Filme nachspielen, Produktionsbedingungen diskutieren, das Melodram in der Gegenwart suchen – die Filmzeitschrift „Revolver“ befragte in „Hands on Fassbinder“ sein Erbe auf vielen Wegen
VON CRISTINA NORD
Die Frau im schwarzen Kleid bestellt „Cuba Libre, por favor“. Ein doppeldeutiges Mixgetränk: Rum mit Cola, freies Cuba. Nachdem sie das Glas geleert hat, wirft sie es gegen die Wand. Aus den Boxen kommt ein Loop, die ersten Takte von Leonard Cohens „Suzanne“. In der Mitte des Raums steht ein langer Tisch, drum herum versammeln sich die Akteure vom Performancekollektiv Parallelaktion, außerdem eine elegante Gestalt namens Grete, im dunkelblauen schmalen Kleid, man stutzt, wenn man ihre tiefe Stimme hört, und der Schauspieler Lou Castel, der durch das europäische Autorenkino der 70er Jahre irrlichterte. „Ich verdiene mehr Geld mit Erotikfilmen als mit Godard“, sagt er auf Englisch. „Und das investiere ich in die militante Bewegung. Ins Detail kann ich hier nicht gehen.“
Lou Castel und die übrigen Akteure wiederholen am Samstagabend im Café des Collegium Hungaricum Sätze und Gesten aus einer anderen Zeit. Sie stammen, unter anderem, aus Filmen von Jean-Luc Godard und Rainer Werner Fassbinder; dessen selbstreflexive Arbeit „Warnung vor einer heiligen Nutte“ (1971) bildet den Dreh- und Angelpunkt. Einzelne Szenen daraus laufen auf einer improvisierten Leinwand im Hintergrund, manchmal ist der junge Castel im Close-up zu sehen. Ort der Handlung ist ein Hotel am Mittelmeer, es geht um ein Kollektiv, das einen Film drehen möchte, doch das nötige Fördergeld ist noch nicht eingetroffen. Während also alle warten und Cuba Libre trinken, erodiert die Gruppe: Wie soll man gemeinsam künstlerisch produktiv sein, wenn letztlich doch ein Einzelner die Entscheidungen trifft? Wie geht man im Kollektiv mit Macht, Ausbeutung und Abhängigkeit um? Die Figuren in „Warnung vor einer heiligen Nutte“ finden auf diese Fragen genauso wenig eine Antwort wie ihre Wiedergänger 41 Jahre später.
Die Performance „Fassbinders Freunde und Genossen oder so“ gehörte zu der Veranstaltung „My Fassbinder – RWF und das internationale Kino“, dem sechsten und letzten Teil der Reihe „Hands on Fassbinder“, die die Redakteure der Filmzeitschrift Revolver organisiert haben. Was auffällt, ist, wie fremd die politischen Diskurse der 70er Jahre heute erscheinen. In der Performance fällt der Name des Kommunarden Blanqui, und Castel versucht sich an Marx-Exegese. Doch die Begriffe sind in der Vergangenheit eingeschlossen wie Insekten in Bernstein. Kann man überhaupt im Kollektiv Filme machen?
Der Eindruck, dass zur Politisierung der 70er Jahre kein Weg zurückführt, entsteht auch bei den drei Werkstattgesprächen, die Mitglieder der Revolver-Redaktion im Lauf des Wochenendes mit Filmemachern führen. Mariano Llinás und Agustín Mendilaharzu aus Buenos Aires geben sich zwar radikal und kompromisslos, sollten sie damit aber eine politische Vision verbinden, so verbergen sie diese gut. Llinás preist die Energie, die er an den Tag legt, wenn er ohne Geld und mit Freunden dreht. Ob er Drogen nehme, will ein Zuhörer wissen. Llinás denkt eine Weile nach: „Nicht wie Fassbinder. Nur solche, die mich am Leben halten.“
Während Llinás und Mendilaharzu von Professionalisierung nichts hören möchten, berichtet der New Yorker Lodge Kerrigan anschaulich, wie fruchtbar es sein kann, zwischen unabhängiger und abhängiger Filmarbeit zu wechseln. Fast ohne Budget hat er Filme wie „Clean, Shaven“ (1994) oder „Claire Dolan“ (1998) gedreht, in diesem Sommer hat er bei einer Episode der TV-Serie „Homeland“ Regie geführt: neun Tage Drehzeit, vier Tage Schnitt, die Ausstrahlung war im Oktober. Großartig, findet Kerrigan. Bei seinen Filmen dauere es meist fünf Jahre, bis aus der Idee etwas wird, was im Kino anläuft.
Fassbinder am nächsten stehen der Regisseur João Pedro Rodrigues und der Produktionsdesigner João Rui Guerra da Mata, etwa in der Art und Weise, wie sie das Genre des Melodramas neu interpretieren. Die beiden Portugiesen lassen den Rahmen des narrativen Kinos weit hinter sich, weil ihre Filme der Logik von Obsessionen folgen. Das Begehren der Figuren ist zu gewaltig, als dass es in einen Arthouse-Film oder in Kategorien wie „schwul“ oder „heterosexuell“ passte.
Der Moderator schlägt den Begriff des Außenseiters vor, um die Figuren zu beschreiben und eine Brücke zu Fassbinder zu schlagen, aber Rodrigues ist damit nicht ganz einverstanden. Wenn man das Ende von „O fantasma“ sieht, ahnt man, warum: Der Protagonist, ein Müllmann, ist zu einem amorphen Wesen mutiert, das in einem schwarzen Latexanzug steckt und sich auf allen vieren fortbewegt, was vielleicht ein Echo auf den schwarzen Hund ist, mit dem der Film einsetzt. Beinahe reißt dieses Wesen ein Kaninchen, und wenn es etwas trinkt, dann ist es Schmutzwasser aus einer Pfütze.