30 Jahre Kinderkram

KREUZBERG Die Kindervilla Waldemar feiert Jubiläum. Deutsche Kinder sind heute in der Minderheit

Schwer zu sagen: Ist das nun idyllische Hinterhoflage oder einfach in eine Baulücke gequetscht? Das dreistöckige Flachdachgebäude der „Kindervilla Waldemar“ liegt zwischen Markgrafen- und Lindenstraße im Randgebiet Kreuzbergs. 80 Kinder gehen hier ein und aus.

Kita-Chef Sen Akyol war dieser Tage ausnahmsweise mehr mit ehemaligen als mit aktuellen Schützlingen befasst. Er suchte Exzöglinge der vor 30 Jahren in Kreuzberg gegründeten Kita, um sie einzuladen: Am vergangenen Wochenende feierte die Kita Jubiläum. Einige der Ehemaligen sind auch heute wieder täglich präsent: Sie haben ihre eigenen Kinder in die Kita gegeben.

Vor drei Jahrzehnten trat die Kindervilla Waldemar – damals noch unter dem Namen „Kinder aus Kreuzberg e. V.“ – ihren Dienst in Sachen Kindererziehung an – im Zuge einer Gründungswelle von Kinder- und Schülerläden, die autoritätsfreie Erziehung propagierten, wie sich Sen Akyol erinnert. „Wir haben damals die Kinder von der Straße geholt“, sagt der heute 55-Jährige.

Mit zwei anderen Fachkräften hob der gebürtige Kurde die Kindervilla 1982 aus der Taufe – von Anfang an mit interkulturellem und mehrsprachigem Konzept. Denn gerade für die Kinder der Einwandererfamilien habe es nicht ausreichend Betreuungsplätze gegeben.

Ähnliche pädagogische Konzepte stießen damals auf große Offenheit, so Akyol. „Wir haben mit Einwandererkindern angefangen und drei Jahre gebraucht, bis wir die 50:50-Mischung hatten.“ Gerade in der Bevölkerung des damaligen Kreuzberg 36 sei die Bereitschaft groß gewesen, Kinder unterschiedlicher Herkunft gemeinsam aufwachsen zu lassen, erzählt Akyol.

Angst der Mittelschicht

Das Konzept der Kita, deren ErzieherInnen deutsch, türkisch, kurdisch und arabisch sprechen und Kinder aus 18 Herkunftsländern betreuen, hat sich seiner Meinung nach bewährt. Das könne man an den Ehemaligen sehen, von denen viele das Abitur gemacht und Arbeit hätten, berichtet Akyol. Trotzdem sind heute nur 15 der knapp 80 Kinder der Kindervilla deutscher Herkunft, etwa 20 kommen aus binationalen Elternhäusern.

Das liege an der Bevölkerung der Umgebung, erklärt Akyol, aber auch an einer gesunkenen Bereitschaft deutscher Eltern, sich auf das interkulturelle Konzept der Kita einzulassen. Den Grund sieht er in der wachsenden Angst der Mittelschicht. „Manche Eltern fürchten, dass ihre Kinder hier nicht ausreichend gefördert werden.“

Für Maike Leever steht es ganz außer Frage, dass ihr Sohn Otto mit Kindern anderer Herkunft aufwachsen soll. Die Holländerin macht gerade die Eingewöhnung des Zweijährigen – und ist bislang zufrieden. „Sie sind hier so lieb mit den Kindern.“ Noch etwas hat die Mutter an der Kindervilla überzeugt: „Zwischen Kurden und Türken gibt es oft Spannungen. Wenn das Miteinander hier funktioniert, dann macht die Kita offenbar einen guten Job.“ AKW