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Archiv-Artikel

Freundschaftsspiel mit Gummiknüppel

Jedes vierte Spiel der WM wird in NRW stattfinden. Deshalb trainiert auch die Polizei im Land für das Sportspektakel: Bei einem genauso raffinierten wie albernen Manöver kloppten sich „Scheißbullen“ mit „Hooligans“ – bis zur Mittagspause

WEEZE taz ■ Für das Rehkitz war die Begegnung Holland-Deutschland dann doch zu viel. Mit vier, fünf Sprüngen hüpft es über den Portal Way und macht sich zwischen zwei dreckig grauen Siedlungshäusern davon. An das Getöse der sporadisch aufsteigenden Airbusse von Ryan Air hat es sich gewöhnt. Doch das Grölen hunderter Hooligans, die Einsatzbefehle der Polizei in zwei Sprachen sowie das Gedröhne von Hubschrauberrotoren haben Panik ausgelöst unter den Tieren auf dem Areal des ehemaligen britischen Militärflughafens Weeze/Laarbruch am Niederrhein.

Mit Parolen wie „Scheißbullen“, „Sieg“ und „Steht auf, wenn ihr Deutsche seid“ machen sich deutsche Jungmänner grinsend Mut für die Schlacht. In Sichtweite, von einem Polizeikordon am Weitergehen gehindert, tobt der Feind. Der ist mit Bussen aus Arnhem und Nijmegen angereist und feuert jetzt den Inhalt der Fresspakete auf die Hundertschaften ab, die er zuvor von der deutschen Organisationsleitung als zweites Frühstück erhalten hat.

„Realistisch“ sollte es zugehen, Mitte September, bei der Übung für den Ernstfall. Unter dem Motto „Sicherheit kennt keine Grenzen“ trainierten auf den zugewucherten Straßen der 1999 von der Royal Air Force verlassenen Siedlung rund 650 deutsche und niederländische Polizisten für den Einsatz gegen gewalttätige Fans bei der Weltmeisterschaft 2006.

„Wir stellen Situationen nach, wie sie gerade bei einer Begegnung Marke Deutschland-Niederlande auftreten können“, erklärte Polizeihauptkommissar Jürgen Gaidas, der die gemeinsame Übung auf dem Flughafengelände Weeze verantwortet. Geprobt wurden die grenzüberschreitende Begleitung von Fanbussen, der Zugriff bei Tumulten in den Innenstädten der Spielorte sowie die angenommene Eskalation nach dem Spiel, wenn sich verfeindete Fangruppen verbünden und sich gemeinsam die Polizei vornehmen.

800 Statisten schlüpften in der Rolle der Hooligans, darunter auch Beamte der 7. Bereitschaftspolizeihundertschaft (BPH) aus Essen. „Ich bin Störer“, so ein Beamter – in grauem Sweater, schwarzen Jeans und mit Wollmütze ist er eindeutig als solcher zu erkennen. „Als Hooligan hat man bei solchen Manövern immer den besseren Part“, der Polizist schmunzelt – „Wir kennen ja nicht nur das Verhalten der Störer, sondern auch die Taktiken der Polizei. Deswegen machen wir es den Kollegen so schwer wie möglich – um Schwachstellen aufzuzeigen und in den restlichen Monaten die Kommunikation zu verbessern.“

Das Zusammenspiel der internationalen Einsatzkräfte stand bei der Übung in Weeze im Mittelpunkt. Ein Viertel der WM-Spiele wird in Dortmund, Gelsenkirchen und Köln ausgetragen – Möglichkeiten zuhauf also für gewaltbereite Fans aus Holland oder von der britischen Insel, die Innenstädte aufzumischen.

Auch für den NRW-Innenminister ist das eine große Herausforderung: „Zur WM kommen ja keine Pilger wie beim Weltjugendtag“, hat Ingo Wolf (FDP) die Beamten in seiner Begrüßungsrede eingestimmt. „Wir wollen auf alles vorbereitet sein, und die gemeinsame Übung ist ein Baustein.“ Offene Grenzen seien etwas Schönes, so Wolf. „Aber wir wollen bei der WM eine Balance zwischen Freiheit und Sicherheit.“ Ob es ihm dann nicht lieber wäre, England würde sich erst gar nicht für die WM qualifizieren? Der Minister rettet sich sibyllinisch: Die Besten sollten zur WM, aber britischen Fans eile nicht gerade der Ruf voraus, Gastfreundschaft zu schätzen.

Luuk Schoo und Rick Winkelhorst hat die Bambule jedenfalls Spaß gemacht. Die beiden 19-Jährigen Statisten lagern zwischen dicht wuchernden Grashalmen am Straßenrand in sicherer Entfernung. Ihre „Kollegen“ bewerfen derweil die gepanzerten Polizeifahrzeuge mit Äpfeln, Stöcken und Getränkekartons. „Wir werden recht oft zu solchen Übungen gerufen“, erzählt Luuk, der sich wie Rick in Arnhem zum Security-Koordinator ausbilden lässt. „Es macht Spaß, Bullen zu beschimpfen, Fahrzeuge umzukippen und ordentlich Adrenalin im Blut zu spüren“, sagt Rick.

Wenige Meter vorm „Stadion“ gerät die Auseinandersetzung ins Stocken. Aufgrund von zeitlichen Verzögerungen ist nicht klar, ob vor dem Mittagessen noch eine Eskalation stattfinden soll. Und die „Hooligans“ wissen nicht, ob sie die Polizeisperre friedlich oder mit Gewalt nehmen sollen. Ein holländischer Fan, der aus dem Kessel auszubrechen versucht, kriegt den Gummiknüppel eines deutschen Polizisten zu spüren, wird wütend und springt dem Beamten hoch motiviert an die Gurgel. Ein Ordner eilt herbei, ruft den jungen Mann zur Räson und ermahnt die anderen: „Es ist doch nur eine Übung!“ HENK RAIJER