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Archiv-Artikel

Angriff der Kuschelfreaks

Im Hamburger Karoviertel, gar nicht so weit von der Reeperbahn, tun sich ungeahnte Dimensionen der Erotik auf

Von wie

Erst geschah es in New York, dann in Los Angeles, Toronto, San Francisco, Berlin. Unaufhaltsam breitete sich das Virus aus und hat nun auch Norddeutschland erreicht: „Die Hände und Füße ertasten vorsichtig die Umgebung, dabei stoßen sie auf fremde Hände und Füße. Sie kommen sich näher, robben aneinander heran“, berichtet dpa in einer heißen Vor-Ort-Reportage aus dem Hamburger Karolinenviertel.

In dem Viertel, einer der ersten Adressen für hippe Modedesigner und junge, wilde Plattenlabels, spielen sich bei gedämpftem Kerzenschein apokalyptische Szenen ab. „In Dreiergruppen stehen sich die Kuschelfreaks gegenüber, die Augen sind geschlossen, die Hände zur Mitte ausgestreckt“, berichtet der mutige dpa-Reporter aus dem Getümmel. „Langsam ertasten sie die Finger, Hände und Arme ihrer Kuschelpartner.“

Finger, Hände, Arme, wo soll das alles enden? Hamburg, die kühle Stadt an der Elbe, versinkt in einem Strudel der Leidenschaft. Nur gut, dass „Inka und Shanti, die beiden Kuscheltrainer“ zur Stelle sind, um notfalls einzuschreiten. „Kein Sex und die Kleidung bleibt an“, donnern die Kuscheltrainer. Wenn es hart auf hart kommt, haben sie eine Glocke dabei, mit der läuten sie dann, „um die Teilnehmer jäh aus ihren Kuschelpositionen zu reißen, falls“ – aber nur falls – „es zu hitzig wird“.

Bei so viel menschlicher Wärme darf eine Figur nicht fehlen, und da ist sie auch schon: „Dass wir uns hier treffen“, sei „eigentlich ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft“, sagt Florian, der Sozialpädagoge, er gehört zum Team „und kuschelt gerne“. Die kalte Gesellschaft macht, dass die Menschen frieren, innen drin, und dann müssen sie ins Hamburger Karoviertel fahren und sich aneinander reiben, denn, noch mal Flori: „Kuscheln macht eben glücklich und selig.“

Toll, dass es immer mehr Menschen gibt, die körperliche Nähe zulassen können. Und wenn es zur Ekstase kommt, ist es auch nicht schlimm, sondern sieht ungefähr so aus: „‚Darf ich mich hinter dich legen‘, fragt ein Mann seine Nachbarin. Sie schmiegt sich an ihn. Beide atmen wohlig und laut aus, er summt zur Musik.“ Hamburg ist und bleibt die Hauptstadt der Erotik. wie / dpa