: Der Schrecken Kiels
Beim Nord-Derby hat der Flensburger Rekord-Torhüter Jan Holpert die Handballer des THW Kiel einmal mehr zur Verzweiflung gebracht. Und heute müssen sie ihn schon wieder überwinden
von Erik Eggers
Bis zum ersten K.o. dauert es nur Sekunden. Das Handball-Derby zwischen Flensburg und Kiel hatte eben erst begonnen, als der Kieler Kreisläufer den Ball aus sechs Metern auf den Kasten schmetterte – mitten ins Gesicht von Jan Holpert. Die 6.500 Zuschauer grölten, weil der Keeper der SG Flensburg-Handewitt pariert hatte. Aber Holpert lag nun für ein paar Momente flach. Und provozierte sie wieder, die ewige Frage im Handball: Was zum Teufel ist in der Jugend der Torhüter wohl schiefgelaufen, dass sie solchen Geschossen mit Todesmut entgegenhechten?
Schon heute erlebt das Nord-Derby seine zweite Auflage, im Pokal, und diesmal findet es in Kiel statt. Holpert aber wird, klar doch, wieder zwischen den Pfosten stehen. Und dafür, dass manche ihn als Wahnsinnigen titulieren, hat er kein Verständnis. Er „möchte nicht Abwehrspieler sein, so wie die nach einem Spiel aussehen“. Und die Schmerzen? „Wenn’s weh tut“, erklärte er dazu einmal grinsend, „habe ich ihn gehalten.“
Der 37-Jährige hielt viel während seiner langen Karriere, viel mehr als die meisten seiner Kollegen. Und ausdauernder: Nach dem heutigen Match wird er kommenden Mittwoch im Heimspiel gegen Göppingen den Rekord des einstigen Weltklasse-Keepers Stefan Hecker einstellen. Dann wird er zum 561. Mal ein Bundesliga-Spiel bestreiten und – ein gewohntes Ritual –vor dem Anpfiff die Holzpfosten des Tores streicheln, als könnte er sie so zur Mitarbeit motivieren.
Er ist so lange dabei, dass er vergessen hat, wann er sein Debüt feierte. „Das muss so 1986 oder 1987 gewesen sein.“ Die Erinnerung an das erste Training beim TSV Milbertshofen aber ist präzise. Er war noch A-Jugendlicher und „sehr nervös“. Weil er nicht zu spät kommen wollte, „war ich ewig lange schon da und hängte meine Sachen dummerweise auf den Platz von Erhard Wunderlich“. Der große Wunderlich, der Handballer des Jahrhunderts. Jedenfalls, als Wunderlich kam, verscheuchte der ihn mit einem Wink. Danach verjagte ihn Jörg Löhr, „auch so ein großer Name“. Immer wieder hieß es: „Hey, Junior, das ist mein Platz.“ Also wartete Holpert. Bis endlich ein Platz frei war. Das Ergebnis: „Ich kam zu spät in die Halle und musste gleich ein Straftraining machen.“
Bis 1993 blieb er in München. Bis ein Wink des Schicksals den gebürtigen Glücksburger wieder an die Ostsee zurückführte. Er war auf dem Weg in den Urlaub nach Dänemark, als er nach dem Passieren des Elbtunnels im Radio hörte, dass Milbertshofen absteigen und damit Flensburg die Bundesliga halten würde. „Ich sagte zu meiner Frau: Jetzt bin ich gerade arbeitslos geworden“, erzählt Holpert. Am gleichen Tag noch meldete sich die SG bei ihm und er unterschrieb einen neuen Vertrag. „Hier kenne ich alles“, dachte er sich damals, „hier habe ich meine Familie, das ist das Beste.“
Eine Revolution ist seitdem über den Handball gekommen. Regeländerungen haben das Spiel „viel schneller und kraftraubender“ gemacht, weiß Holpert. Wie sehr der Handball zum Profisport mutiert ist, dokumentieren vielleicht am besten die Trinkgewohnheiten: „Früher“, sagt Holpert, „hat man auch mal zwei Kästen Bier auf der Rückfahrt geleert, ist dann rausgepurzelt und hat noch einen Schnaps getrunken.“ Kein Vergleich zu heute: Da sei es nicht einmal mehr eine halbe Kiste, „und davon geht die Hälfte auf die Physiotherapeuten“.
Im Laufe der Zeit sei er „extrovertierter geworden“, sagt Holpert. Manchmal staucht er, der große Schweiger, mit bösem Blick seine Vorderleute zusammen. „Er redet nicht viel, aber wenn er was sagt, dann hören wir ihm zu“, sagt Mannschaftskapitän Sören Stryger.
Holperts Vertrag läuft bis 2007. Ob er sich dann, im gesegneten Alter von 39 Jahren, zur Ruhe setzt? Nach dem Derby am Wochenende bot ihm SG-Trainer Kent-Harry Andersson schon an, Holpert solle selbst darüber entscheiden, ob er verlängern wolle. Zuvor hatte der Torwart die Kieler zur Verzweiflung gebracht mit seinen Paraden, 17 Mal hatte er ihnen im Weg gestanden. Vielleicht hatten sie ihn zu sehr herausgefordert, mit diesem Wurf auf die Nase.