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THEATER

TheaterEsther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Gehen wir zurück in den Sommer 1930 und nach Potsdam. Auf einer Dachterrasse sitzen drei Frauen und zwei Männer. Das Licht hat noch die sanfte Intensität eines warmen Sommerabends, doch am Horizont ziehen schon schwarze Nachtwolken auf. Die im Stil großstädtischer Bohemiens gekleideten fünf jungen Menschen sind um einen weiß gedeckten Tisch versammelt, unter ihnen die Schauspielerin Traute Rose und ihr Mann Paul, Leiter des Berliner Rose-Theaters. Auf dem Tisch sind ein paar Stücke Obst und ein angebrochener Laib Brot verstreut. Ein Hauch von da Vincis berühmtem „Letzten Abendmahl“. Hinter der Szene liegt die Silhouette der Stadt Potsdam, über der wie eine Glucke die barocke Kuppel der Nikolaikirche thront. Die fünf Menschen schauen seltsam leer und in sich gekehrt. Unterm Tisch schläft ein deutscher Schäferhund. So zumindest ist die Szenerie auf einem Gemälde aus dem Jahr 1930 festgehalten. Seine Malerin heißt Lotte Laserstein, noch immer nur Eingeweihten ein Begriff. Als sie das Bild malte, dessen eigentümliche Stimmung uns Heutigen fast visionär auf alles zu verweisen scheint, was bald schon kommen sollte, war sie 32 Jahre alt: der Abend über Deutschland. Ein paar Jahre später musste sie ihrer jüdischen Herkunft wegen emigrieren. Das Bild nahm sie mit. Bis kurz vor ihrem Tod 1993 hing es in ihrer Wohnung in Schweden. Seit Kurzem gehört es nun der Berliner Nationalgalerie und wird, wenn der Van-der-Rohe-Bau an der Potsdamer Straße wiedereröffnet wird, zu den Glanzstücken der Ausstellung der Kunst des 20. Jahrhunderts gehören, neben den Bildern von Max Beckmann, Otto Dix oder Ernst Ludwig Kirchner. Vom Bild und seiner Malerin hat sich der Dramatiker Lutz Hübner zu einem Stück inspirieren lassen, das wie das Bild „Abend über Potsdam“ heißt. Es vollzieht die Entstehungszeit des Bildes in den Jahren 1929/30 im Freundeskreis der Künstlerin zwischen Weltwirtschaftskrise und politischer Radikalisierung nach, das zu einem Epitaph einer im Untergang begriffenen Welt geworden ist. Die Uraufführung am Potsdamer Hans Otto Theater inszeniert Isabel Osthues (Hans Otto Theater, Potsdam: „Abend über Potsdam“, Premie­re 7. April, 19.30 Uhr).

Im HAU wird’s dann diese Woche dafür sehr gegenwärtig, und zwar mit dem Schauspieler Benny Claessens, der gerade als sehr eigenwilliger Ödipus in Ersan Mondtags Inszenierung im Gorki-Theater zu sehen ist. Und eben im HAU nun mit „Hello useless – for W and Friends“ einen magischen Soloabend mit Musik über die radikale Rückkehr zum Wesentlichen präsentiert (HAU2: „Hello useless“, 7. April, 19 Uhr, 8. April, 21 Uhr).

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