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Archiv-Artikel

SPD-Front für Schröder bröckelt weiter

Erneut zweifelt ein Landeschef an Schröders Verbleib im Kanzleramt. Vor der heutigen Sondierungsrunde zwischen Union und SPD stehen die Zeichen auf Annäherung. Entscheidung über Koalitionsgespräche frühestens nächste Woche erwartet

Vor der heutigen zweiten Sondierungsrunde für die Bildung einer großen Koalition ist erneut ein führender SPD-Politiker von der harten Linie seiner Partei in der Kanzlerfrage abgerückt. Der saarländische Landesvorsitzende Heiko Maas ließ erkennen, dass er sich auch ein Regierungsbündnis unter einer Kanzlerin Angela Merkel vorstellen könnte. Dieser Punkt müsse „ganz einfach auch verhandelt werden“, sagte er. Bisher hatten der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck sowie die Bürgermeister von Bremen und Berlin, Henning Scherf und Klaus Wowereit, Zweifel am Verbleib von Gerhard Schröder im Kanzleramt geäußert.

Aufseiten der Union zeichnet sich ein Wechsel des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber in die Bundespolitik immer deutlicher ab. Stoiber sagte der Bild-Zeitung, zunächst müssten sich Union und SPD auf ein Regierungsprogramm verständigen. „Dann kann ich mir auch vorstellen, in diesem Kabinett Verantwortung zu übernehmen.“ Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger ermahnte Merkel, in einer künftigen Regierung mehr als bisher auch starke Mitstreiter neben sich zu akzeptieren. „Eine gute Regierungschefin duldet nicht nur kompetente Persönlichkeiten, sondern sie fördert geradezu starke Minister“, sagte Oettinger.

Eine Entscheidung über die formelle Aufnahme von Koalitionsverhandlungen wird bei der heutigen Sondierungsrunde nicht erwartet. Beide Seiten ließen im Vorfeld erkennen, dass sie zunächst die Nachwahl in Dresden am kommenden Sonntag abwarten wollten. Stoiber verlangte allerdings, die Verhandlungen nicht endlos in die Länge zu ziehen. Seit der Ankündigung von Neuwahlen vor vier Monaten sei die deutsche Politik nicht mehr handlungsfähig. „Dieser Zustand muss im Interesse des Landes schnellstens – also noch im Oktober – beendet werden.“

An den heutigen Verhandlungen nehmen für die Union neben Merkel und Stoiber auch CSU-Landesgruppenchef Michael Glos sowie die Ministerpräsidenten Dieter Althaus und Jürgen Rüttgers teil. Für die SPD verhandeln außer Schröder auch Parteichef Franz Müntefering und die drei Bundesminister Wolfgang Clement, Ulla Schmidt und Heidemarie Wieczorek-Zeul. Als Vorbedingung für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen verlangt die Union, dass die SPD ihren Anspruch aufs Kanzleramt aufgibt. Die Sozialdemokraten möchten dagegen zunächst über Inhalte verhandeln und erst zum Abschluss über die Personalie an der Regierungsspitze reden.

Zu den Chancen auf das Zustandekommen einer großen Koalition äußerten sich gestern alle Beteiligten optimistisch. „Ich bin ganz sicher, dass es diese Regierung in Form einer großen Koalition geben wird“, sagte Schröder in einer europapolitischen Rede in Straßburg und gab damit Anlass zu Spekulationen über einen möglichen Rückzug. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement sagte zu der gegenseitigen Blockade in den Verhandlungen: „Ich glaube, dass wir am Ende besser herauskommen können, als uns derzeit unterstellt wird.“ Selbst auf dem strittigen Feld der Gesundheitspolitik sah der CSU-Sozialexperte Horst Seehofer die Chance zur Einigung. Die konträren Konzepte von Kopfpauschale und Bürgerversicherung könnten bei den Verhandlungen einfach ausgeklammert werden.

Die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete von einem geheimen Treffen zwischen dem hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und dem DGB-Vorsitzenden Michael Sommer. In dem Treffen, das bereits am vergangenen Freitag stattgefunden haben soll, hat Koch den Angaben zufolge ein Entgegenkommen seiner Partei in strittigen Fragen signalisiert. Demnach will die Union möglicherweise nicht auf ihren Plänen bestehen, das Tarif- und Arbeitsrecht zu lockern.

Als ein weiteres Projekt, bei dem eine schnelle Einigung möglich ist, gilt die Föderalismusreform. „Das ist eine der großen Aufgaben der nächsten Bundesregierung“, sagte NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers gestern. dpa, ap, rtr