: Vier Säulen in der Landschaft
DEBATTE „Wer, wenn nicht wir?“: Ob die sogenannte Hochkultur etwas mit Nachhaltigkeit zu tun hat, fragen die Sommerlichen Musiktage in Hitzacker – sich selbst, aber auch, per Internet, ihr Publikum
Linda Anne Engelhardt
Ein Spaziergang im Morgennebel, Hörner und Trompeten in freier Natur. Idyllischer kann ein Festival kaum sein, besser die Idee Kulturlandschaft kaum ausagiert werden, als es seit inzwischen 66 Jahren die „Sommerlichen Musiktage“ im niedersächsischen Hitzacker tun. Die letzten zehn Jahre lang verantwortet von Intendant Markus Fein, seit diesem Jahr von Carolin Widmann, bietet das Festival hochkarätige Kammermusik von renommierten Interpreten.
Und das nicht nur als Frontalunterricht: Die Hörer dürfen auch schon mal während der Proben mitten im Orchester sitzen und eine andere Perspektive erlauschen. Man könnte also sagen: Das Festival ist bewusst als ein kommunikatives angelegt.
Anfang Oktober ließ der veranstaltende Verein, die „Gesellschaft der Freunde der Sommerlichen Musiktage Hitzacker“, ein Blog einrichten, auf dem seither über Nachhaltigkeit und die Rolle der Kultur dafür diskutiert wird. Steckt dahinter eine Image-Krise? Oder gar ein finanzieller Engpass? Nein, sagt Linda Anne Engelhardt, Vorstandsvorsitzende des Vereins. Auslöser sei eine Bachelor-Arbeit an der Universität Lüneburg zu dem Thema gewesen. „Da habe ich bemerkt, dass sich auch ein Kulturfestival dieser Diskussion stellen muss.“
Nachhaltigkeit bedeute ja nicht nur, wie erstmals 1987 im „Brundlandt-Bericht“ formuliert, zu gewährleisten, dass auch künftige Generationen ihre Bedürfnisse erfüllen könnten, sagt Engelhardt. Nachhaltigkeit müsse vielmehr über ein Vier-Säulen-Modell definiert werden.
Da sei zunächst die ökologische Nachhaltigkeit – im Fall der Sommerlichen Musiktage ist ein Problem, dass die letzten Züge Richtung Lüneburg und Hamburg schon um 19.15 Uhr in Hitzacker abfahren. „Überhaupt nicht konzertgerecht“, sagt Engelhardt. „Abgesehen davon, dass wir kein Plastikgeschirr verwenden, kann man natürlich überlegen, fair gehandelten Kaffee anzubieten und mehr Barrierefreiheit zu schaffen“ – Säule zwei, das Soziale.
Ökonomisch, sagt Engelhardt, gebe es dagegen kein Nachhaltigkeitsdefizit: Der Verein finanziere sich aus Mitgliedsbeiträgen, das Festival – mit Kosten in Höhe von 350.000 bis 400.000 Euro – aus Kartenverkauf, öffentlichen Zuwendungen sowie Sponsoren und Stiftungen. Defizite mag Engelhardt allenfalls bei der Arbeitsökonomie erkennen: „Obwohl die bundesweite Abgabenordnung erlaubt, ein Projekt drei Jahre hintereinander zu fördern, wird das in Niedersachsen nicht gemacht“, erzählt sie. „Deshalb fangen wir mit unseren Anträgen jedes Jahr bei Null an und erklären alles – als ob wir ein ganz neues Festival wären.“
„Wenn man das änderte, könnten nicht nur wir, sondern auch die Behörden viel Arbeit sparen“, sagt Engelhard, die, wie der gesamte Vorstand, ehrenamtlich arbeitet. Die vierte Säule schließlich bilde die Frage, ob das Festival auch kulturell nachhaltig sei. Das bedeute, den Fortbestand des Festivals zu sichern, nicht zu erlahmen in der Pflege und Vermittlung der Musik. Und da, sagt Engelhardt, freue sie sich auf die Diskussionen im Blog und per Mail wie auch beim nächsten Festival im Juli 2012.
Am Programm selbst wird die Debatte nichts ändern, aber Engelhardt sagt, sie wolle die Öffentlichkeit und neue Ideen. „Wissen Sie bundesweit von einer derartigen Diskussion seitens der sogenannten Hochkultur? Und wer sollte sie anregen, wenn nicht wir, angesiedelt in der exponierten Kulturlandschaft der Elbtalaue?“ PS