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Archiv-Artikel

Auf dass der Saft der Erdbeere rinne

Wenn verklemmte Jungerwachsene bei sich explizit queer gebenden Party-Glamrockern wie der schwedischen Band The Ark völlig aus dem Häuschen geraten – ist das dann Pop oder peinlich? Nach dem schweißtreibenden Konzert im ausverkauften Postbahnhof gab es eine Menge zu besprechen

VON HANNAH PILARCZYKUND KIRSTEN RIESSELMANN

HP: Unentschieden, würde ich sagen.

KR: Naja, die Performance war eigentlich alles andere als unentschieden: Perfekt gereckte Fäuste, perfekt an den blanken Oberkörper geheftete Engelsflügel in Schwarz, perfekt knapp sitzendes Lederhöschen, perfekt campy ins Hohlkreuz gedrückte Wirbelsäulen. Irgendwie doch eine sehr entschiedene Inszenierung von Glamrock.

HP: Ich meinte eher meine eigene Unentschlossenheit. Einerseits hatte ich mordsmäßig Spaß, andererseits war ich zutiefst peinlich berührt.

KR: Dummerweise scheinen Spaß und Peinlichkeit bei The Ark zwei Seiten einer Medaille zu sein: Ständig muss man grinsen, weil einfach alles so derartig over the top ist – die Musik, das manieriert schwule Gepose, alles, was Sänger Ola Salo so in seinen kleinen Ansprachen von sich gibt. Andererseits ist das Schlimme eben, dass alle anderen um einen herum auch deswegen grinsen: Ein großer heterosexuell verklemmter Mob, der sich über hübsch ausstaffierte, queer performende Männer ein exotisches Erlebnis verschafft. Und sicher denkt: Yeah, das ist Pop as Pop can be!

HP: Absolut. Eine „Rocky Horror Picture Show“-Experience für die, denen das pinke Lederhöschen von Peaches schon gleich wieder zu viel ist. Überhaupt „Rocky Horror Picture Show“: Das haben in der der Schule ja auch immer die Allergehemmtesten geliebt – endlich mal auf Befehl ausflippen dürfen! Genau so hat ja auch das ständige Spiel „Und jetzt singt das Publikum“ funktioniert. Immer auf Bestellung schön mitgeschmettert.

KR: Was natürlich todkomisch ist, wenn diese bebrillten Sportjackenträger und kleinen schwedischen Mädchen in die irgendwie ja schon politisch gemeinte Hymne „One day I will become the father of a son! Halleluja!“ einfallen. Ein glamgerocktes Manifest pro Adoptionsrecht für Homosexuelle – und die händchenhaltenden Erstsemester in heller Begeisterung! Schlimm allerdings war das Mitgegröle bei Texten wie „Do what you wanna do, don’t think twice, let your heart decide!“, oder?

HP: Hey, du hast doch auch bei „Clamour for Glamour“ bei den „Bada-bab-bab-bahe-ya“-Chören mitgesungen! Aber mal davon abgesehen: Mich irritiert es auch, wenn sich eine Band für sexuelle Vielfalt einsetzt, dann aber mit ihren Konzerten möglichst viel Abifahrten-mäßige Gruppendynamik erzeugen will. Dauernd haben die einen zu irgendetwas aufgerufen – an Ambivalenzen war da nichts mehr zu holen.

KR: Außer vielleicht noch das latente Gefühl, dass die sich selbst über ihre Inszenierung kaputtlachen. Ola Salo konnte sich doch kaum noch beherrschen, als er seine monsterkitschige Parabel von der Erdbeere erzählte: Hinten die Vergangenheit, vorne die Zukunft – egal: Im Hier und Jetzt die Erdbeere, „the present of presents“, die es so zu squeezen gilt, dass der Saft über die halb rasierte Brust rinnt! Aua!

Susan Sontag hat ja zwischen reinem Camp und vorsätzlichem Camp unterschieden. Ersteres nimmt sich selbst ernst in seiner Liebe zum Kitsch. Salo dagegen veräppelt doch in einem durch sich selbst als Kunstfigur. Vorsätzlich!

HP: Du hast das unfassbare „We’re gonna carpe diem!“ vergessen! Aber mal ehrlich: Wenn sich jemand 14 Jahre nach dem Tod von Freddy Mercury immer noch an Queen und ihren prototypischen Rockopern abarbeitet, finde ich das vor allem vorsätzlich langweilig.

KR: Klar, musikalisch ist mit The Ark nicht wirklich der Edelgard-Bulmahn-Innovationspreis zu gewinnen. Das Gefühl, einem großen Nepp auf den Leim gegangen zu sein, war schon die ganze Zeit da – vielleicht neigte man genau deswegen dazu, sich über Kostümwechsel und sexy Kletterübungen des Sängers so zu freuen. Man wollte einfach unbedingt, dass der versprühte Charme irgendwie echt und frisch ist.

Der böse böse Gedanke, dass da einfach ein paar Skandinavier eine glatt polierte Marketingmasche durchhampeln, ist einfach unerträglich. Deswegen glaube ich weiter sturköpfig dran: Neben dem Fanpublikum hat sich zumindest Ola Salo nicht gelangweilt. Er ist sich sicher, dass seine Rumtata- und Feuerzeugschwenk-Musik für die Welt so etwas sein kann wie ein „light, over at the Frankenstein place“.

HP: Zu Recht! Selten habe ich so viele befriedigt grinsende Menschen nach einem Konzert gesehen. Da blieb kein Auge und keine Achselhöhle trocken. Trotzdem kann man in The Ark immer auch einen gut verkaufbaren Gegenentwurf zu all den gebügelfalteten Postpunk-Bands der letzten Zeit sehen, denen eben nicht die Mascara vor lauter Schweiß verwischt. Jetzt mal weit aus dem Fenster gelehnt: Drüsen- als Authentizitätsproduktion.

KR: Damit sind wir doch eindeutig beim Theater. Spucken, schwitzen, bluten. Wenigstens ist man bei The Ark nicht im bierernsten, sondern im amüsanten Affentheater.