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Archiv-Artikel

Melancholische Abwicklung

Das letzte Kapitel einer Expansion: Volker Koepps Dokumentarfilm „Pommerland“ erschließt lange Zeiträume, indem er die Zeitzeugen erzählen lässt

Die Zentren Stettin oder Danzig sind weit entfernt.Wer Ambitionen hat,muss wegziehen

VON BERT REBHANDL

In Polen müssen die Bauernhöfe europafähig werden. Das geht nur mit Subventionen aus Brüssel. Seit Mai 2004 gehört das Land zur EU und ist damit in die Paradoxien der Verteilungsströme geraten. Manche nützen das öffentliche Geld, um das zu machen, was es überall sonst auch gibt. Manche brauchen eine Förderung, um das Land zu seinen historischen Wurzeln zurückzuführen. Sie liegen nicht selten in Deutschland. Es ist eine Situation, wie sie der Filmemacher Volker Koepp immer wieder gefunden hat auf seinen Forschungsreisen in den Osten. In „Pommerland“, dem in sanften Wellen verlaufenden „Land am Meer“ jenseits der Oder, sind die Felder der Reichtum. Hier gibt es keine Industrie, nur Boden.

Die deutschen Gutsherren, die sich vor vielen Generationen hier niederließen, verstanden sich als Kolonisatoren. Das 20. Jahrhundert hat die Verhältnisse gründlich über den Haufen geworfen, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen. Da gibt es die holländische Schweinemast, mit 750 Tieren. Die lokale Bevölkerung findet dort Arbeit. Der Lohn ist niedrig, aber die Gegend um Stolp/Slupsk ist ohnehin arm. Die Zentren Stettin oder Danzig sind weit entfernt. Wer größere Ambitionen hat, muss wegziehen.

Es gibt aber auch Leute, die kommen. Das Ehepaar Bastosiewicz hat eines der größten Güter in der Gegend übernommen. Während des Sozialismus wurde es als Staatsgut bewirtschaftet. Die Verunstaltungen der historischen Bausubstanz werden nun in mühsamer Kleinarbeit rückgängig gemacht. Die Bastosiewiczs sind Kolonisatoren im eigenen Land. Sie kehrten aus dem Westen zurück, der Mann aus London, die Frau aus Düsseldorf, um in Polen etwas aufzubauen. Nun ernten sie nach ökologischen Kriterien, eines Tages möchten sie „etwas mit Pferden“ machen. Zum Fest liegen eine ganze Ziege und ein ganzes Lamm auf dem Grill, zum Bier wird Deutsch und Polnisch gesprochen. Frühere und gegenwärtige Gutsbesitzer hocken beisammen. Der Deutsche Adolf-Heinrich von Arnim kann sich noch an die alte Zeit erinnern, an die lange Dauer von Besitzverhältnissen, die erst der Zweite Weltkrieg erschüttern konnte. Er ist kein Revanchist, im Gegenteil verfolgt er die Bemühungen der Bastosiewiczs mit Wohlwollen.

Bei diesen Begegnungen ist Volker Koepp in seinem Element. Er kann – wie sonst in Deutschland nur noch Thomas Heise – durch Zeugen lange Zeiträume erschließen. „Pommerland“ schließt unmittelbar an „Kurische Nehrung“ (2001) und „Uckermark“ (2002) an, resultiert aber aus einem Lebenswerk, das in den frühen Siebzigerjahren in der DDR mit einem Film über „Schuldner“ und mit „Grüßen aus Sarmatien“, dem Land zwischen Weichsel und Wolga, begann. Wo immer er hinkommt, schreibt Koepp das letzte Kapitel der deutschen Expansion nach Osten und der sozialistischen Expansion nach Westen. Was Gustav Freytag mit seinem antisemitischen Epos „Soll und Haben“ legitimiert hatte (völkische Hierarchie und industrielle Transformation), wird von Koepp melancholisch abgewickelt. Er spricht mit den Überlebenden, mit den Übriggebliebenen, mit den Heimkehrern, mit den Arbeitslosen. Alte Leute sind es zumeist, die Jungen haben wenig zu erzählen, ihnen ist alles Gegenwart.

Die Bastosiewiczs stehen genau dazwischen. Auch ihre Familiengeschichte ist durch die deutschen Verbrechen geprägt. Der Großvater zählte zu den Opfern des KZ-Arztes Mengele. Sie selbst sind aber schon aus diesem Schatten herausgetreten. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie den Habitus der alten Gutsbesitzer annehmen, haben sie im Westen gelernt. Das Küchenmädchen rückt beim Gruppenbild an den Rand, beim Mittagessen sitzt sie aber mit am Tisch. Das Geld aus Brüssel hat einen Beschäftigungseffekt, auch wenn die alten gutsherrschaftlichen Verhältnisse kaum verändert wiederkehren. Die lokale Bevölkerung sammelt Beeren und Pilze aus dem Wald, so groß ist die Armut. Die Gutsherren von einst und jetzt haben ihre eigene Redensart, um die Besitzverhältnisse zu relativieren: „Gehört alles der Bank.“

In „Pommerland“ zeigt sich, dass das Historische sich nicht im Großraum erfüllt, sondern in den Verästelungen von individuellen Plänen und Träumen, die selbst für die EU-Bürokratie zu spezifisch sind. Dass sie für das Kino erreichbar bleiben, ist das Verdienst von Volker Koepp.

„Pommerland“, Dokumentation, Deutschland 2004, 89 Min.