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Archiv-Artikel

Oberflächliche Verteidigung

betr.: „Ein obsessives Projekt“ von Jörg Magenau, taz vom 23. 9. 05

Anstatt wie angekündigt ein Buch zu besprechen, dessen Vorgehen und Inhalt darzustellen und kritisch zu beleuchten, gibt es einen Walser-ist-ein-Verfolgter-Rundumschlag, eine Generalamnestie, die gar nicht mit Inhalten oder vermeintlichen Vorwürfen des Buches kontrastiert wird. Was ist das für ein Argument: Wenn etwas dran wäre an dieser Antisemitismus-These, hätten es die Intellektuellen Deutschlands längst entdeckt? Dass Walser die „Kluft zwischen Tätern und Opfern“ überwinden wollte, indem er seine „essayistischen Liebeserklärungen Figuren wie Victor Klemperer (…)“ widmet, heißt nicht, dass er die Täter- und die Opferseite richtig im Blick hat. Schon in seinem Bild von der „Moralkeule“ (Paulskirchenrede 1998) vertauscht Walser Täter- und Opferseite. Die Reflexion von Intellektuellen über die gesellschaftliche Verantwortung nach der Judenvernichtung wird zur „Keule“ für Walsers ersehnte deutsche Normalität und materialisiert sich für sein Empfinden in Form des Holocaust-Mahnmals in einem „fußballfeldgroßen Alptraum“.

JENNY WARNECKE, Freiburg

Magenau schreibt, wenn man „den Oberbegriff ‚Antisemitismus‘ dabei ersatzlos streichen würde“, könnten wir über die deutsch-jüdische und die nicht deutsch-jüdische Beziehung diskutieren. Ich frage mich, was die Alternative zu dem Begriff „Antisemitismus“ wäre? Judenhass? Judenfeindlichkeit? Magenau sieht sich offenbar durch den Begriff „Antisemitismus“ gefährdet.

Statt der ansonsten kritischen taz wirft ausgerechnet der Mainstream-freundliche Spiegel Walser vor, das jüdische Leiden in seinen Werken zu verharmlosen. Walser (Jahrgang 1927) ist von 18 Jahren NS-Antisemitismus-Propaganda geprägt. Nach seiner Rede in der Paulskirche 1998 scheint mir, die Zeit ist reif für eine kritischere literarische und soziologische Untersuchung von Walsers Werk hinsichtlich der antisemitischen Frage. Ich erwartete eine heftigere Auseinandersetzung mit der Dissertation von Lorenz statt einer oberflächlichen Verteidigung von Walsers und Magenaus obsessivem Projekt, die Anti-Antisemitismus-Fraktion lächerlich zu machen.

BENJAMIN WEINTHAL, Berlin