Berliner Szenen: Allnighter imQuasimodo
Wie einst im Mai
Auf dem Flohmarkt am Marheinekeplatz gibt es einen Stand mit historischen Zeitungen, an dem ich nie vorbeigehen kann, auch wenn mir jedes Mal der entgeisterte Ausruf eines Freundes einfällt, dem ich stolz meine Sammlung 60er-Jahre-Magazine präsentierte: „Sammelst du jetzt auch ALTEN Müll?!“. Jedenfalls liegt dort eine Berliner Illustrierte Zeitung von 1930, in der für den Delphi Palast geworben wird: „Dienstags und donnerstags Tanz mit Hansi, dem Seelentröster“ und freitags „Das verkehrte Orchester“. Samstagabend darf ich selbst dorthin, in die Fasanenstraße, im Quasimodo, der im Delphi-Keller angesiedelten rüstigen Jazzkneipe „est. 1975“, wippen schon seit Längerem kaum noch deutsche Jazznerdbärte über 60, sondern wir – im Gegensatz zur üblichen Mischpoke – jungen Mods um die 50. „Es gibt keine Mods mehr, nur Exmods“ sagte dazu einmal Erobique, der es ja wissen muss, aber das ist an einem solchen Abend natürlich wumpe. Denn beim „Soul ’n’ Beat Allnighter“ spielen unter anderem „The What… For!“, „Berlin Beat Mayhem since 1985“, und wehe, es wirft einem jetzt jemand eine gewisse Rückwärtsgewandtheit vor: Das liegt nun einfach mal in der Natur der Sache! Und wenn’s doch Spaß macht? Auf der Bühne covert man munter Lieblingsbeathits, und wir, davor, tanzen und hüpfen wie einst im Mai und vergessen kurzzeitig unsere Rückenschmerzen, künstlichen Hüftgelenke und Arteriosklerosen. Von wegen Seelentröster. Das machen wir allein! Zudem hat die Band immerhin noch all ihre Haare, das ist schon mehr, als man von vielen anderen Menschen sagen kann, deren Frisuren einst ihre Markenzeichen waren. Es wäre, das muss man leider klarstellen, ja auch eine ziemliche Herausforderung, Berlins erster Glatzen-Mod zu sein – alternde Skinheads zum Beispiel hätten dieses Problem nicht. Jenni Zylka
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