: Fragwürdiges Vorgehen
FÜRSORGE Wegen seiner Roma-Herkunft wird ein Hamburger Pflegekind von den Behörden in einem Zirkus untergebracht. Seit Dienstag ist der Elfjährige verschwunden. Jugendamt zunehmend unter Druck
Die wichtigste Frage: Wo steckt Jeremie? Mit dem Kleintransporter seiner Pflegefamilie soll der Elfjährige am Dienstag gut 100 Kilometer von Lübtheen in Westmecklenburg nach Hamburg gefahren sein. Inzwischen vermutet das zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte, dass das Kind Hilfe von einem Erwachsenen bekam.
Aufgewachsen ist Jeremie in Hamburg, seine Eltern waren nach Angaben des Bezirksamts drogenabhängig, bei den Großeltern soll er geschlagen worden sein. „Das Familiengericht hat entschieden, das Sorgerecht zu entziehen“, erklärt eine Sprecherin. Dafür müsse es „handfeste Gründe“ geben. Deutlicher wird ihr Chef, Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD): Wiederholt sei das Kind aggressiv gegen sich und andere geworden.
Vor knapp zwei Jahren kam Jeremie zu einem Wanderzirkus, wo ihn das Jugendamt über einen freien Träger der Jugendhilfe, den Neukirchener Erziehungsverein, unterbringen ließ. Die Zirkusfamilie hatte bereits sieben eigene Kinder. Dass der Junge ausgerechnet dort einquartiert wurde, habe auch mit seiner Herkunft aus einer Roma-Familie zu tun, sagt die Behördensprecherin. Zudem hätten andere Träger Jeremie, der als schwierig und auffällig galt, zuvor abgelehnt.
Jeremies Mutter und seine Großeltern erheben nun schwere Vorwürfe gegen das Amt und die Pflegefamilie. „Er hat immer wieder weinend angerufen, ist geschlagen und ausgenutzt worden“, sagte seine Mutter dem Hamburger Abendblatt. „Man hat ihn gezwungen, Diesel zu klauen und morgens um sechs Uhr die Ställe auszumisten. Schlafen muss er in einem unbeheizten Bauwagen.“ Angeblich musste Jeremie als Clown auftreten, ein Video soll ihn gar als Feuerschlucker zeigen.
Kritik kommt auch von der Hamburger Opposition: Die Unterbringung koste die Stadt mehrere tausend Euro im Monat – da müsse man auch eine intensive pädagogische Betreuung erwarten können, erklärte die Grünen-Fraktion. Auch sei die rechtliche Grundlage der Unterbringung fragwürdig. Die CDU-Fraktion fordert, es müssten viele offene Fragen rund um das zuständige Jugendamt geklärt werden.
Bisher gibt es nur ein Lebenszeichen von Jeremie: Bereits am Mittwoch soll er seine Großeltern angerufen haben. Der Transporter der Zirkusfamilie war in Hamburg-Billstedt entdeckt worden und wird seither von Kriminaltechnikern untersucht. Nach Polizeiangaben ging bisher kein Zeugenhinweis ein. „Wir nehmen die Sache ernst“, sagte eine Sprecherin. Jeder Kollege „ist mit einem Bild in der Tasche im Einsatz“. (dpa)