Fotogrüße von der Insellage

ZEITKOLORIT Postkartenmotive aus den Mauertagen, ganz ohne Mauer. Im Ephraim-Palais lässt sich das alte West-Berlin in Farbfotografien von Herbert Maschke begucken

■ Die Ausstellung „Kalter Krieg und Wirtschaftswunder“ mit Farbfotografien von Herbert Maschke ist im Ephraim-Palais, Poststraße 16, bis zum 17. 2. 2013 zu sehen. Di.–So. 10–18 Uhr, Mi. 12–20 Uhr.

■ Die Schau ist Teil des 5. Europäischen Monats der Fotografie Berlin, der eigentlich diesen Sonntag endet. Etliche dabei präsentierte Ausstellungen haben allerdings eine Laufzeit darüber hinaus. Programm: www.mdf-berlin.de

VON RONALD BERG

Es gab einmal ein Land, das lag wie eine Insel in einem roten Meer. In diesem Meer wohnten die Feinde. Und da die Feinde böse waren, bauten sie eine 155 Kilometer lange Mauer rings um das Land. Die mehr als zwei Millionen Insulaner lebten trotzdem gar nicht so schlecht auf ihrem Eiland. Eigentlich war alles da, was man zum Leben brauchte, und das Land war sogar so attraktiv, das jedes Jahr Hunderttausende zu Besuch kamen.

Das Land gab es wirklich. Es hieß offiziell „Berlin (West)“. Landläufig auch West-Berlin. Nur „Westberlin“ durfte das Land nicht heißen, denn so nannten es nur die Feinde im Osten. Merkwürdigerweise lag dieser Osten aber überall um das Land herum. Wer die Zeit in West-Berlin nicht selbst erlebt hat, wird sich wohl kaum vorstellen können, wie seltsam und gleichzeitig wie normal das Leben in West-Berlin war.

Damals schickten die Besucher des Landes kleine Bildkarten mit der Post zu den Freunden und Bekannten zu Hause. Auf diesen Ansichtskarten wirkte das Land sehr freundlich. Es schien beständig die Sonne und hatte viele schöne, neue Gebäude. So sollten und so wollten es die Touristen sehen.

Und so stellte es ihnen Herbert Maschke zur Verfügung. Maschke, Jahrgang 1915, in der NS-Zeit „Bildberichterstatter“ und dann Standfotograf bei Filmproduktionen in der DDR, gründete Mitte der fünfziger Jahre in West-Berlin einen Postkartenverlag. Es war ein Ein-Mann-Unternehmen. Maschke fotografierte, produzierte und vertrieb seine Karten selbst. In Kiosken, Souvenirläden oder Hotels waren sie zu bekommen. Zwanzig Jahre existierte der Verlag.

In der Ausstellung „Kalter Krieg und Wirtschaftswunder“ im Ephraim-Palais kann man nun eine Auswahl von Maschkes Postkartenmotiven sehen. Die Farbaufnahmen wurden neu und groß abgezogen und werden ergänzt von einer Reihe von Schwarz-Weiß-Bildern, die Maschke nebenbei von Land und Leuten in West-Berlin aufgenommen hat.

Der Ku’damm und die Gegend rund um den Zoo sind die häufigsten Bildkartenmotive bei Maschke. Die City West spiegelte offenbar am deutlichsten die Rolle als „Schaufenster des Westens“, die West-Berlin während der Teilung der Stadt übernahm.

Schon zu Mauerzeiten setzte das zunächst mit Marshallplan-Geldern und dann mit Bundesmitteln hoch subventionierte West-Berlin auf Tourismus und Kultur. Berlin musste sich attraktiv zeigen für Besucher. Das Leben innerhalb der Mauer sollte begehrenswert erscheinen. Das war zugleich auch die Botschaft an die vielen Abwanderungswilligen unter den Stadtbewohnern.

Maschkes lichterflirrende Nachtaufnahmen wiederholen nur das offiziell gern verbreitete Image einer mit Kinos, Theatern, Bars und Kneipen gesättigten Stadt ohne Sperrstunde, stets bereit für Vergnügungssüchtige und Kulturgenießer. Besonders rings um die Gedächtniskirche zeigte sich Berlin als Weltstadt mit Flair. Hier wuchsen neue Gebäude in den Himmel. Maschkes Aufnahmen aus den oberen Etagen dieser Häuser machen die modernistische Platzgestalt des Breitscheidplatzes als ein von Hochhausscheiben gebildeter Raum erst richtig ansichtig. Wie vieles wurde auch diese Stadtfigur inzwischen verändert.

Positives Image der Stadt

Auf den frühen Aufnahmen von Maschke sieht West-Berlin ohnehin fremd aus. Aus abgeräumten Trümmergrundstücken stechen Rathaus Charlottenburg oder die Gedächtniskirche hervor. Dazwischen fährt die Straßenbahn – wie zunächst auf dem Ku’damm auch. Der Wiederaufbau favorisierte aber die autogerechte Stadt.

Aus dem Mittelstreifen am Ku’damm werden ab 1954 sukzessive Parkplätze. Berlins Fremdenverkehrsmarketing warb damals sogar mit der Stadtautobahn. Und Maschke fotografiert 1964 das Straßenknäuel an der Halenseestraße als attraktives Postkartenmotiv.

Obwohl oder gerade weil Maschke bei seinen Postkarten nur Sehenswürdigkeiten aufnimmt, lässt sich aus seinen Bildern einiges herauslesen. Er zeigt das jeweilige, stets positive Image der Stadt. Die Mauer kommt auf Maschkes Karten daher nicht vor, nur das Brandenburger Tor. Obwohl es im Osten steht und unpassierbar ist, bleibt es als Sightseeing-Ziel und Postkartenmotiv emblematisch für die Stadt. Maschke fotografiert das Tor von der Siegessäule aus. Seine fotografische Handschrift bleibt erkennbar, er macht „schöne“ Fotos und liefert stets noch die vielen Details, die der Fotoapparat immer nebenbei mit aufnimmt.

In der Rückschau von heute aus sind sie vielleicht das Interessanteste an diesem Aufnahmen. Die jungen Bäumchen im Tiergarten vor dem Brandenburger Tor, das Kopfsteinpflaster auf dem Ku’damm, die wechselnde Kleidermode der Passanten, all das trägt in die scheinbar so bekannte Topografie Berlins etwas sonst Unsichtbares: die Dimension der Zeit.