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Archiv-Artikel

Tendenz steigend

NEUE WERTE Das Internet killt die kleinen Buchläden, doch in Deutschland ist der Trend gegenläufig. So eröffnen gerade im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg ständig weitere Buchgeschäfte. Die Neu-Buchhändlerin Katharina von Uslar erklärt, warum

Vor allem in großen Städten schätzen viele die Kleinteiligkeit: Sie gehen gern dort einkaufen, wo sie leben, und mögen die persönliche Ansprache

VON SUSANNE MESSMER

Überall Bücherkartons. Aus den Wänden hängen Kabel mit Lüsterklemmen, das Klo hat noch keine Tür. Katharina von Uslar steht auf einer Leiter und schraubt unerschrocken an einem hohen Bücherregal herum. Angestrengter Blick? Ach was. Der Laden wird in fünf Tagen eröffnet. Komme, was da wolle.

Und dann führt Katharina von Uslar durch den großzügigen Raum. Sie zeigt auf die grauen Wände, die sich angenehm zurückhalten, eine kleine Bühne im hinteren Bereich, den langen, wuchtigen Holztisch, der als Tresen dienen wird. Schließlich geht es gar in den Keller, von dem sie noch nicht weiß, was sie mit ihm anfangen soll. Bis vor Kurzem befanden sich hier die engen Einzelkabinen der Tutti-Frutti-Bar, also Sexgewerbe.

„Uslar und Rai“ wird er heißen, der neue Buchladen von Katharina Uslar und ihrem Partner Edgar Rai in Berlin, Schönhauser Allee, Ecke Eberswalder. Es ist ein grauer Tag, der Himmel drückt wie Waschbeton. Aber davon lässt sich Katharina von Uslar ebenso wenig beeindrucken wie von der Tatsache, dass es in ihrem Kiez, in dem sie schon lang lebt, gefühlt mehr Buchläden als Bäckereien gibt.

Berlin, Ecke Schönhauser

„Ist es nicht schön hier?“, ruft sie aus und stemmt die Hände in die Hüften, als sie auf den Bürgersteig tritt. Tatsächlich befinden uns an einer der umtriebigsten Kreuzungen Deutschlands. Von ihr erzählte schon der Defa-Film „Berlin – Ecke Schönhauser“, sie taucht in Liedern von Barbara Thalheim auf, in Geschichten von Wladimir Kaminer oder zuletzt im Spielfilm „Oh Boy“.

„Hier musste trotzdem einfach noch einer hin, oder nicht?“, sagt Katharina von Uslar. Die kleine energische Frau, Schwester des Autors Moritz von Uslar, erzählt mit Nachdruck von ihrer Idee. Ja, es gibt schon sehr viele gute Buchhandlungen in Berlin. Auf 14.000 Einwohner kommt in der Hauptstadt ein Buchladen (Deutschland-Schnitt: 200.000 pro Laden). Und ja: Prenzlauer Berg ist neben Charlottenburg mit über 30 Buchläden der am besten versorgte Bezirk der Stadt – pro 3.000 Einwohner ein Buchladen. Aber einer wie „Uslar und Rai“ fehlte hier noch.

Es scheint eine paradoxe Entwicklung. Während große Buchhandelsketten wie Barnes & Noble in den USA oder WH Smith in England die kleinen Buchhändler bedrängen, zeichnet sich seit einiger Zeit in Deutschland eine weniger deutliche Entwicklung ab. Große Ketten wie Weltbild und Hugendubel klagen über Umsatzeinbußen und Filialschließungen, sie werden als erste vom Internethändler Amazon bedrängt. Für die kleinen, inhabergeführten Buchläden gilt dies nicht in diesem Maße. Vor allem in großen Städten schätzen Stadtteilbewohner die Kleinteiligkeit. Sie gehen gern dort einkaufen, wo sie leben, und mögen die persönliche Ansprache.

Für den Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg bedeutet das, so Katharina von Uslar: Kurz nach der Wende gab es dort zwei gute Buchhandlungen, heute sind es dreißig. Tendenz steigend. In der direkten Nachbarschaft von „Uslar und Rai“ gibt es neben florierenden Allroundern einen Buchladen für die schönsten Kinderbücher aus aller Welt, den wohlsortierten linken Buchladen „Schwarze Risse“ in der Kastanienallee, einen Buchladen für ausgesuchte Kochbücher, einen für englische Literatur und einen, der ausschließlich die Programme der feinsten kleinen Verlage in die Regale stellt.

Und dennoch wird „Uslar und Rai“ keine Konkurrenz sein, für die anderen, ist Katharina von Uslar überzeugt. Ihr Laden wird keine Kunden abziehen, sondern neue locken, glaubt sie. „Rai und Uslar“ will anders sein als alles, was es bislang im Kiez gab, großzügiger und urbaner.

Katharina von Uslar kam Anfang der 1990er nach Berlin. Als man ganz Ostberlin für einen riesigen Freiraum voller Kellerbars und Hinterhofkreativer halten konnte. In einer Zeit, als das Leben hier noch nicht viel kostete, jede und jeder vieles durfte und wenig musste. Sie hat miterlebt, wie das Nachtvolk von damals älter wurde. Und fauler. Wie es Kinder bekam und abends nicht nur aus gesundheitlichen Gründen immer öfter zum Buch griff.

„Ist doch total normal“, sie lächelt über alle, die heute gern Mütter und Bioladenkunden im Kiez verfluchen – so, als wollte sie sagen: Öko ist das neue cool, und damit basta! So aber auch, als würde sie wissen: Hier sehnen sich viele Menschen nach wenigstens ein paar Orten, die sich ansatzweise so intelligent anfühlen wie die abgefahrenen Orte früher – und seien es auch nur Buchläden.

Warum aber nimmt man Katharina von Uslar eigentlich ab, dass sie dem Kiez nun ebenfalls ein kleines Stück Coolness geben wird? Es liegt vielleicht an ihrer Experimentierfreude, der Leidenschaft: die Art, Dinge einfach zu machen, die man machen will – eine Art, die viele ihrer Generation teilen und die wohl wirklich daher kommt, dass es vor 20 Jahren noch viel einfacher war, mal dies zu tun und mal das und mit der größten Selbstverständlichkeit Feuer und Flamme für Dinge zu sein, die erst in zweiter Linie zu Resultaten führen mussten.

Keine Vampire

Jedenfalls soll „Uslar und Rai“ nicht nur schick aussehen, der Laden wird wohl auch einen soveränen Mut zur Lücke demonstrieren. „Subjektiv“, nennt Katharina von Uslar das. „Das Sortiment ist im Moment vor allem geprägt von Titeln, die wir weglassen“, fügt sie an. Soll heißen: Es wird keine populärhistorischen Romane geben, keine Fantasy, keine All-Age-Bücher, auch keine Weihnachstanthologien. Es wird keine Bücher von Fernsehköchen geben und in der Jugendbuchabteilung keine Vampire.

Und wenn dadurch zu viele Bestseller fehlen? Katharina von Uslar zuckt trotzig mit den Schultern. „Unsere Buchhändlerin, die wir neu eingestellt haben, hat uns auch schon den Vogel gezeigt“, sagt sie. „Aber unser Geschäftsmodell ist nun mal die Geschäftsuntüchtigkeit.“ Und es wäre nicht zu wenig gesagt, wenn man ihren Blick in diesem Moment als triumphierendes Lächeln beschreiben würde.

Man könnte die Art, wie Katharina von Uslar die Dinge angeht, als naiv beschreiben. Man könnte aber auch sagen, dass ihr all das fehlt, was Geschäftsgründungen oft so todlangweilig machen. Sie ist nicht hochprofessionell. Sie ist nicht abgebrüht. Sie ist eine Quereinsteigerin, die beim Wagenbach Verlag in die Lehre ging, dann in London Typografie und Herstellung studierte. Bis 2011 gestaltete sie vor allem Bücher, für den Fest und den Mare Verlag, war eine der Inhaberin der Agentur Sans Serif. Wie ihr Geschäftspartner, der Autor Edgar Rai, hat Katharina von Uslar nicht die Perspektive der dickfelligen Buchverkäuferin, sondern die der glühenden Buchverrückten. „Wir können unkonventionell sein“, sagt sie. „Weil wir nicht wissen, wie man es machen sollte.“ Und bricht dann in selbstironisches Gelächter aus.

Katharina von Uslar will vor allem die Bücher verkaufen, die sie mag. Sie will Zusammenhänge herstellen, die sie vermisst. Durch einen monatlich wechselnden Thementisch zum Beispiel, wo auch ältere Titel präsentiert werden, die anderswo längst auf dem Rückweg zum Verlag sind.

Außerdem soll es auf der kleinen Bühne im Laden Veranstaltungen geben. Nicht die teuren, wo man schon mal 800 Euro Honorar investieren muss. Eher die von Freunden, die hier was machen. Und solche Freunde haben Katharina von Uslar und ihr Mann, Markus Schädel, der wenig entfernt in der Oderbergerstraße ein kleines, stets gut gefülltes Restaurant für alpenländische Küche betreibt, genug.

Am letzten Samstag war es dann so weit. Katharina von Uslar, Edgar Rai und alle Freunde und Verwandte, die sie greifen konnten, haben es geschafft. Die Lüsterklemmen hängen zwar noch immer aus den Wänden, aber sonst ist fast alles fertig. Das Klo hat eine Tür, die Bücher stehen in den Regalen, es gibt Linsensuppe mit Chorizo, der Sekt fließt in Strömen.

Es sind so viele Leute da, dass kaum ein Durchkommen ist. Katharina von Uslar steigt auf ihren großen Tisch und hält eine schöne Rede, die gleichzeitig durchdacht wirkt und improvisiert. Sie verströmt viel Begeisterung und wenig von dem, was man als unangenehm professionell oder gar kaltschnäuzig empfinden und bezeichnen könnte.

Es besteht kein Zweifel.

„Uslar und Rai“, das wird ein guter Buchladen. Schwer vorzustellen, dass er durch das Internet in naher Zukunft ersetzt werden könnte.