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Archiv-Artikel

Wenn der Café-Besuch nicht mehr drin ist

Menschen, die ambulant oder stationär betreut werden, geraten wegen Hartz IV zunehmend unter finanziellen Druck, klagen Wohlfahrtsverbände. Viele seien gar nicht fähig zu arbeiten – und bekämen trotzdem Abzüge vom mageren Arbeitslosengeld II. Dabei reiche das Geld auch so schon nicht, weil es kaum noch andere finanzielle Beihilfen gebe

Menschen mit besonderen Problemlagen – Wohnungslose, Drogenabhängige, psychisch Kranke, Behinderte – sind von den Hartz-Gesetzen besonders hart getroffen. Oft leben sie in Einrichtungen des betreuten Wohnens und haben früher Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bekommen. Jetzt gibt es für die meisten Arbeitslosengeld II – auch wenn sie gar nicht erwerbsfähig sind. Für viele bedeutet das enorme finanzielle Einbußen, klagen Wohlfahrtsverbände und soziale Einrichtungen in NRW.

Es fange damit an, dass die bisher üblichen einmaligen Beihilfen für Kleidung oder Möbel nicht mehr bezahlt werden, sagt Ulrich Thien, Referatsleiter für soziale Arbeit bei der Caritas Münster. So müssten die Betroffenen Geld zurück legen, um Reparaturen oder größere Anschaffungen bezahlen zu können. „Bei einem sehr knappen Budget ist das schon in ‚normalen‘ Zeiten keine leichtes Unterfangen. Wenn jedoch etwas Unvorhergesehenes passiert, ist es fast unmöglich“, sagt auch Andrea Steinbinder, Leiterin der Ambulanten Betreuung der Diakonie Michaelshoven im Oberbergischen Kreis. Die Einrichtung unterstützt ehemalige Obdachlose und Menschen, die auf der Straße oder in Notunterkünften leben. „Im Alltag geraten diese Menschen immer mehr unter Druck“, so Steinbinder. Mit den Arbeitsagenturen verhandelten die Mitarbeiter der Diakonie häufig über Vorschüsse oder Darlehen für Kleidung, Reparaturen oder Umzüge, die die Betroffenen dann in Raten abbezahlen müssten. Sonst bliebe nur der Gang in Second-Hand-Läden oder Kleiderstuben.

Auch für psychisch Kranke oder süchtige Menschen, die in betreuten Einrichtungen leben, sei Hartz IV ein großes Problem, sagt Ernst-Wilhelm Rahe, Sprecher des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Nordrhein-Westfalen. Viele Betroffene seien arbeitsunfähig und könnten nicht mal einen Ein-Euro-Job annehmen, was von den Arbeitsagenturen jedoch häufig ignoriert werde. So müssten die Bewohner zum Teil massive Abzüge von ihrem Geld erdulden weil sie die Arbeit angeblich verweigerten. Dann blieben auch die Freizeitangebote auf der Strecke. „Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist den Menschen oft nicht mehr möglich“, so Rahe.

Bei geistig Behinderten, die in betreuten Einrichtungen wohnen, gebe es hingegen kaum Probleme, so Lothar Reuschel, Bereichsleiter Wohnen der Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen. Die Menschen erhielten in der Regel eine Grundsicherung wegen Erwerbsunfähigkeit. In Behinderten-Werkstätten verdienten sich viele ein kleines Taschengeld hinzu. „Hier hat Hartz IV kaum Auswirkungen“, so Reuschel.

Aber auch die Grundsicherung reiche vorne und hinten nicht, so Renate Hahn, Leiterin des ambulanten Betreuungsdienstes beim „Club 74 e.V.“ in Minden, einem Träger von Einrichtungen für psychisch Kranke. „Für alle Empfänger bedeutet die Grundsicherung eine finanzielle Verschlechterung, das ist sogar weniger als die alte Sozialhilfe“, sagt Hahn. Viele Betroffene seien zu krank und könnten nicht einmal arbeiten, um sich etwas dazu zu verdienen. Eine Frau habe ihre Haftpflichtversicherung gekündigt, um ein paar Euro mehr im Monat zu haben. „Ausflüge oder einen Besuch im Café können sie sich erst gar nicht leisten.“

Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert nun, auch Suchtkranke und psychisch Kranke sollten statt ALG II die Grundsicherung für Erwerbsunfähige bekommen. „Die Behörden müssen einfach jeden Fall genauer prüfen“, sagt Rahe. Auch Andrea Steinbinder wünscht sich flexiblere Lösungen: Von den mageren Leistungen dürfe nicht noch etwas abgezogen werden, weil Arbeitsunfähigkeit nicht anerkannt werde. GESA SCHÖLGENS