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heute in bremen„Alte Sorten in Bürgerhand“

Saisonstart Die „Bremer Gemeinschaftsgärten“ laden zur regionalen Saatgut-Tauschbörse ein

Foto: Gabriele Birth
Rike Fischer

50, ist Kommunikationsdesignerin, Wildblumen-Aktivistin und im Vorstand der „Solidarischen Landwirtschaft“.

taz: Frau Fischer, warum sollte man Saatgut tauschen?

Rieke Fischer: Zum Beispiel zur Erhaltung von alten Sorten in Bürgerhand, um nicht von Konzernen abhängig zu sein.

Was spielen die Konzerne für eine Rolle?

Der überwiegende Teil des Saatguts ist in Konzernhand. Selbst die kleinen Samentütchen, die man oft beim Gärtner um die Ecke kaufen kann. Das sind riesige Konzernverstrickungsnetzwerke, die den Handel mit Saatgut verdeckt oder offen dominieren. Ein Beispiel ist etwa Monsanto, das von Bayer gekauft werden soll.

Was ist so schlecht daran, dass das Saatgut von Konzernen gehandelt wird?

Das führt zu weniger Artenvielfalt. Der Konzern beschließt mit seinem Banker, welche Sorten sich rechnen. Zum Beispiel Brokkoli: Da lohnen sich vielleicht zwei Sorten, eine im Winter, eine im Sommer. Es gibt vermutlich über 100 Sorten Brokkoli, die so nicht angebaut werden. Monokulturen haben große Anfälligkeiten für Schädlinge. Doch die meisten Saatgut-Konzerne handeln auch gleichzeitig mit Pestiziden, so rechnet sich das für sie doppelt.

Ein Argument lautet ja, dass die Landwirtschaft nicht nur eine regionale Nachbarschaft ernähren muss, sondern im Prinzip die ganze Welt. Insofern sind besonders ertragreiche Sorten doch gut?

Ich finde das sehr kurz gedacht. Nehmen wir den Hochleistungsweizen: Der lässt sich gut ernten, gut transportieren und gut lagern, er enthält aber viel mehr Gluten. Viele Menschen haben inzwischen eine Glutenunverträglichkeit, das liegt daran, dass wir Menschen auf diesen Hochleistungsweizen nicht gut reagieren. Ich befürchte, dass wir mit dieser Einfalt kaum überleben.

War früher alles besser?

Natürlich nicht! Ich will auch nicht zurück in die Steinzeit. Wir brauchen jedoch ein gesundes Mittelmaß mit regionalem und saisonalem Anbau. Es nützt doch nichts, wenn wir aufgrund der Glutenunverträglichkeit auf Bio-Chia-Samen umsteigen – und der dann mit einem Containerschiff, das mit Schweröl fährt und Feinstaub produziert, von Südamerika zu uns nach Europa gebracht wird.

Der Handel mit Saatgut ist ja streng reglementiert. Dürfen Sie die Samen überhaupt tauschen?

Ja. Der Kommerz ist über Lizenzen geregelt, das stimmt. Aber der Tausch ist nicht reglementiert.

Wer kann denn alles mittauschen?

Alle, die Lust haben: Es können Leute kommen, die gar keine Ahnung haben und sich informieren möchten. Wir haben die Autorin Anja Banzhaf für einen Vortrag über den Wert von Saatgut eingeladen, außerdem kommen natürlich die Teilnehmer der vielen Urban-Gardening-Projekte, die es in Bremen gibt. Wir wollen zum Beginn der Pflanzsaison nicht nur Saatgut tauschen, sondern uns vernetzen und informieren.

Interview Karolina Meyer-Schilf

Samstag, 14 bis 18 Uhr, Kukoon, Buntentorsteinweg 29

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