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„Das ist kein behagliches Amt“

Perspektive Angesichts der Zerstrittenheit in Europa wird Deutschland mehr Weltverantwortung übernehmen müssen. Dafür ist Frank-Walter Steinmeier der Richtige, sagt der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse

Foto: dpa
Wolfgang Thierse

73, saß von 1990 bis 2013 für die SPD im Bundestag. Von 1998 bis 2005 war er Präsident des deutschen Parlaments.

Interview Stefan Reinecke

taz: Herr Thierse, Frank-Walter Steinmeiers Thema als Bundespräsident wird Demokratie sein. Ist das die richtige Wahl?

Wolfgang Thierse: Ja, die Parteiendemokratie ist ja in einer tiefen Vertrauenskrise.

Wirklich? Fast 90 Prozent wählen doch demokratische Parteien?

Aber es gibt ein Misstrauen in die demokratischen Institutionen und die nüchternen Regeln der Demokratie. Und wir beobachten eine Vergröberung der kommunikativen Sitten im Internet und eine Zunahme von Verachtung gegenüber Politikern und Institutionen. Wir sind nicht in Gefahr wie 1932. Aber es gibt strukturelle Gründe für diese Entwicklung, die weiter wirken.

Nämlich?

Die Finanzkrise hat das Vertrauen erschüttert, dass die Demokratie regiert und nicht die Finanzindustrie. Wir nehmen die Rückseite der Globalisierung schärfer wahr, etwa dass die Kluft zwischen Reich und Arm wächst. Seit der Flüchtlingskrise beobachten wir, dass sich viele hierzulande, vornehm ausgedrückt, entheimatet fühlen. Mit dem Fremden ist die Frage entstanden, wie sicher das Eigene, Vertraute, Gewohnte ist. Das sind, grob gesagt, die Motive der Krise der Demokratie. Internationale Institutionen wie UNO und EU sind selbst in kritischem Zustand und haben darauf keine Antwort. Steinmeier hat das Weltunordnung genannt. Deutschland wird als vergleichsweise stabiles Land mehr Weltverantwortung übernehmen müssen, gerade angesichts der Zerstrittenheit in Europa. Dafür ist Steinmeier der Richtige.

Wäre es angesichts der Verdrossenheit mit der Parteiendemokratie nicht klüger gewesen, einen unabhängigen Kandidaten zum Bundespräsidenten zu machen – und keinen aus dem inneren Zirkel der Macht?

Nein. Wir brauchen einen Politiker, der sein Geschäft versteht, der national und international Erfahrung hat. Das andere wäre in Gefahr, bloß ein Feigenblatt zu sein. Außerdem ist das Amt des Bundespräsidenten härter, als die meisten meinen. Er sitzt im goldenen Käfig, alle anderen, Bürger und professionelle Kritiker, schauen ihm beim Reden zu. Er hat ja nur das Wort. Das ist nicht so behaglich.

Hat Steinmeiers Präsidentschaft machtpolitische Auswirkungen?

Sie wird der SPD nicht schaden. Dass er nun Bundespräsident ist, verdankt sich Sigmar Gabriels Geschick – und der Zerrissenheit zwischen CDU und CSU. Die Kanzlerin, die ihn ja nicht wollte, hat keine gute Hand bei Bundespräsidenten.

Also wird diese Präsidentschaft der SPD nutzen?

Vielleicht. Wir erleben mit Martin Schulz derzeit, dass viele es auf einmal für möglich halten, dass sich die SPD aus der babylonischen Gefangenschaft in der Großen Koalition befreit. Das ist zwar nur eine Momentaufnahme. Aber vor zwei Monaten war das noch undenkbar.

Ist Bundespräsident Steinmeier Wetterleuchten eines Machtwechsels, so wie es Gustav Heinemann 1969 war?

Vorsicht mit solcher Symbolik. Er ist Präsident in einer Zeit, in der sich erweisen muss, dass dies keine Schönwetterdemokratie ist. Sondern dass die Republik konfliktfähig ist, trotz Rechtspopulismus und der negativen Folgen der Globalisierung.

Wird Steinmeier ein guter Präsident?

Er hat die Voraussetzungen dafür: Weltgewandtheit, Herkunft aus kleinen Verhältnissen. Steinmeier wird kein emotional überschwänglicher Präsident wie Joachim Gauck sein. Aber Gefühl durch Nüchternheit gefiltert ist nicht schlecht.

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