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Ich mag es nicht, den Leuten dabei zuzuschauen, wie sie keinen Feierabend habenHinter Glas

Foto: privat

AM RAND

Klaus Irler

Ich ging durch Eimsbüttel abends um acht, es war ein Montag, es war dunkel und es waren überraschend viele Menschen auf der Straße. An der Ecke dann ein hell erleuchtetes Ladenlokal, Altbau, lackierter Holzboden, Designerschreibtische. An einem der Schreibtische saß ein Mensch mit Hornbrille und Tolle und arbeitete in seinen Laptop hinein. Auf dem Fenster stand „Kontor für Handel, Wandel und Gestaltung“.

Ich habe recherchiert, was das ist, ein „Kontor für Handel, Wandel und Gestaltung“. Gemeint war, dass an diesem Ort selbständige PR-Berater, Online-Designer und Medien-Vermarkter arbeiten. Jeder für sich und alle hinter Glas.

Seit ich am Stadtrand wohne, habe ich so was nicht mehr gesehen: Ein voll verglastes Büro zum Reinkucken, in dem abends noch Betrieb herrscht. Am Stadtrand gibt es keine Reinkucker-Büros und keine Solo-Selbständigen der Kreativwirtschaft. Folglich gibt es auch niemanden, dem man dabei zuschauen kann, wie er gerade keinen Feierabend hat.

Diese Arbeitswut zur Schau zu stellen ist mir unsympathisch, aber vermutlich wollen sich die Abendarbeiter nicht profilieren, vermutlich gehört das Abend-Arbeiten einfach dazu, wenn man was mit Medien macht. Das gewerkschaftliche Feierabend-Konzept riecht halt muffig, so nach Ende der 70er, als es noch Wirtschaften gab, die einen Sauerbraten im Angebot hatten und auf einem Menüteller servierten.

Kann sich an die Menüteller noch jemand erinnern? Das waren Teller mit mehreren Bereichen, einer für das Fleisch, einer für die Kartoffeln, der dritte für den Salat. Die Teller sind selten geworden in der Gastronomie, ebenso wie die Kindermahlzeiten mit speziellem Namen auf der Karte. Im Waldcafe Corell im Niendorfer Gehege gibt es das noch, dort gibt es die Kinderteller „Max und Moritz“ (Kartoffelpuffer mit Apfelmus), „Pumuckel“ (Nudeln mit Tomatensauce) und „Lucky Luke“ (Putenschnitzel mit Pommes).

Für die Erwachsenen könnte man einen John-Lennon-Teller oder einen Helene-Fischer-Teller anbieten, so wie in dem Film „Pulp Fiction“, in dem John Travolta ein „Douglas-Sirk-Steak“ isst und danach den Twist-Contest gewinnt. Fände ich cool, auch wenn ich ein Potenzial für atmosphärische Verstimmungen sehe, wenn die Abendverabredung sich ernsthaft für Helene Fischer entscheidet.

Das Konzept hat also Schwächen. In der Stadt geht Marketing sowieso anders. Til Schweiger zum Beispiel hat ein Restaurant eröffnet, in dem er gefiltertes Leitungswasser für 4,20 den Liter verkauft. Die mediale Empörung und Schweigers Rechtfertigung (gute Öko-Bilanz, weil kein Flaschentransport) machten das Restaurant im Handumdrehen bekannter als jede konventionelle Werbekampagne.

Ich glaube, die PR-Strategie mit dem Leitungswasser haben sie sich in dem Kontor für Handel, Wandel und Gestaltung ausgedacht. Schweiger hat da abends um sieben angerufen und hat gesagt: „Ich brauche einen Knaller. Du hast drei Stunden.“ Daraufhin hat der Mann mit der Hornbrille eine Panik­attacke bekommen, hat sich nach seinem 14 Stunden-Tag am Waschbecken kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt und gedacht: „Das ist es!“

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