: Tödliche Billigklamotten
TEXTILINDUSTRIE Bei einem Fabrikbrand in Bangladesch kommen mehr als 100 Menschen ums Leben. Das Land ist zum zweitgrößten Textilexporteur der Welt geworden
VON NICOLA LIEBERT
BERLIN taz | Erneut sind zahlreiche Menschen bei einem Brand in einer Textilfabrik ums Leben gekommen, die für internationale Ketten produziert. Dieses Mal starben mindestens 109 Menschen in Bangladesch, nachdem am Samstagabend in einem mehrstöckigen Gebäude der Firma Tazreen Fashions ein Feuer ausgebrochen war. „Die Fabrik hatte drei Treppenhäuser, und alle führten ins Erdgeschoss“, sagte ein Feuerwehrsprecher. Dort habe der Brand aber begonnen, sodass es keine Fluchtmöglichkeiten gegeben habe. Deshalb sprangen mehrere Menschen aus den Fenstern der oberen Stockwerke und verletzten sich dabei tödlich.
Die 2009 erbaute Fabrik am Rand der Hauptstadt Dhaka gehört zur Tuba Group, die laut Unternehmenshomepage unter anderem für C & A, Carrefour und Walmart produziert. C & A-Sprecher Thorsten Rolfes bestätigte, die Fabrik sei beauftragt gewesen, 220.000 Sweatshirts für die brasilianische Niederlassung der Bekleidungskette herzustellen.
Laut der Kampagne für Saubere Kleidung kam es seit dem Jahr 2005 zu sieben tödlichen Bränden und Fabrikeinstürzen in Bangladesch, bei denen insgesamt 145 Menschen starben. Die vielen Toten seien mit mangelhaften Sicherheitsmaßnahmen zu erklären. Ein Sprecher von Tazreen Fashion dagegen erklärte vor Kameras, der Betrieb habe EU-Standards eingehalten. Der Verband der Textilhersteller und die Vereinigung der Exporteure kündigten Hilfen für die Familien der Opfer an.
In Bangladesch stehen fast 5.000 Textilfabriken mit 3,5 Millionen Beschäftigten, hauptsächlich jungen Frauen. Sicherheitsvorkehrungen gibt es in vielen der Betriebe nicht. Nichtregierungsorganisationen prangern mangelnde Kontrollen durch Arbeitsinspektoren an. Gewerkschaften würden meistens nicht toleriert. Tatsächlich hatte ein Gutachten über ethisches Beschaffungswesen im vergangenen Jahr dringende Verbesserungen bei Tazreen Fashions angemahnt. Sonst würde das Unternehmen von der Liste der Lieferanten für den Kaufhauskonzern Wal-Mart gestrichen. Das auf der Unternehmenswebsite gespeicherte Dokument nennt allerdings nicht die Art der Verletzungen.
Textilien sind das wichtigste Exportprodukt des Landes. Allein Deutschland importierte nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2011 Bekleidung im Wert von 2,8 Milliarden Euro von dort. Inzwischen steht Bangladesch nach China auf dem zweiten Platz der Textilexporteure – nicht zuletzt dank der Löhne, die dem Radiosender Voice of America zufolge bei umgerechnet 28 Euro im Monat beginnen und damit noch niedriger als in anderen asiatischen Ländern sind. Im Sommer war es zu Protesten gegen die geringen Löhne und miesen Arbeitsbedingungen gekommen, in deren Verlauf Hunderte Fabriken zeitweilig schließen mussten.
Erst im September war es in Pakistan zu einem Brand in einer Textilfabrik gekommen, die unter anderem für den deutschen Bekleidungsdiscounter Kik produziert hatte, bei dem 259 Menschen ums Leben kamen.
Im September hatte H & M-Chef Karl-Johan Persson Regierungschefin Sheikh Hasina zur Anhebung des Mindestlohns aufgefordert. Wirtschaftsexperten warnen bereits, die Textilindustrie des Landes könnte unter Druck geraten, wenn es nicht zu Verbesserungen bei Löhnen und Arbeitsbedingungen kommt. (mit dpa/dapd)