Mit Staatszwang in die Mietfalle

Die „Solidarische Hilfe“ warnt: Der Plan des Senats, das Wohngeld zu kürzen, treibe Tausende von Arbeitslosengeld-II-Empfänger in die private Verschuldung – weil billiger Wohnraum nicht zur ausreichend Verfügung stehe

Bremen taz ■ Eine Woche vor der Entscheidung der Sozialdeputation über die Zwangsumzüge von mehreren tausend BremerInnen haben die Solidarische Hilfe Bremen e.V. und Mieter helfen Mietern e.V. gestern das zugrunde liegende Gutachten des Hamburger Gewos-Instituts scharf kritisiert. Die Expertise geht davon aus, dass 62.400 der 156.000 Bremer Mietwohnungen so preiswert sind, dass sie für Wohngeld-EmpfängerInnen in Frage kommen. Die Gutachter halten es daher für machbar und produktiv, EmpfängerInnen von ALG II, die in derzeit teureren Wohnungen leben, zum Umzug zu zwingen.

Die Solidarische Hilfe e.V. hält diese Analyse für falsch. So stünden beispielsweise nicht 1.200, sondern weniger als 600 ausreichend preisgünstige Wohnungen leer. Entsprechend unrealistisch sei es für die Betroffenen, innerhalb der anvisierten Fristen Ersatzwohnungen zu finden. In Bremen gibt es derzeit etwa 35.000 Haushalte, die vollständig oder ergänzend von ALG II leben. 9.100 von ihnen sollen bis Ende des Jahres aufgefordert werden, in eine billigere Wohnung zu ziehen.

Die gestern in Umlauf gekommene Vorlage für die Sozialdeputation schlägt dafür folgende Regeln vor: Wer 30 Prozent oder mehr über der Mietobergrenze liegt, muss innerhalb von sechs Monaten umziehen, bei 20 bis 30 Prozent darüber gibt es ein Jahr Zeit. Die „geringfügigen Fälle“ bekommen eine Umzugsaufforderung ohne Fristsetzung.

Die Solidarische Hilfe e.V. hält eine Fristverlängerung auf vier Jahre für erforderlich, um „eine dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen“ der Betroffenen zu verhindern. Da die Umzüge juristisch nicht erzwingbar seien, blieben erfahrungsgemäß viele in ihren Wohnungen und versuchten, die höhere Miete von ihrem ALG II zu bestreiten – auf Kosten von Ernährung, Bekleidung und dergleichen.

Unmittelbar ablesbar ist diese persönliche Mangelwirtschaft unter anderem an den 7.000 Strom-Sperrungen, die die SWB pro Jahr wegen nicht gezahlter Rechnungen durchführt. Ein weiterer Mangel der Gewos-Untersuchung besteht nach Auffassung der Solidarischen Hilfe e.V. darin, dass die derzeit die explodierenden Energiekosten nicht berücksichtigt würden. In der Tat geht die auf den Gewos-Daten aufbauende Vorlage der Sozialdeputation von nur einem Euro Heizkosten pro Quadratmeter aus, während sie vom Deutschen Mieterbund aktuell mit 1,30 Euro beziffert werden.

Die Erfahrung der Solidarischen Hilfe e.V.: Oftmals führe der selbst aufzubringende Mietanteil zur Verschuldung der Betroffenen – womit die „Mietfalle“ dann perfekt wird. Denn wer einmal in der Schufa erfasst ist, hat kaum noch Chancen, jemals einen anderen Vermieter zu finden. Henning Bleyl