vereinigungsgedanken (teil 7)
: „Mir ist nie ein Zug in der Zone stehen geblieben“

Thomas Alber, 42, fuhr vor der Wende U-Bahnen durch Geisterbahnhöfe und erlebte die unterirdische Wiedervereinigung

Vor 15 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt – so der offizielle Terminus. Viele jubelten, einige trauerten und manche ängstigte, was aus diesem Land werden könnte. Die taz lässt rund um den 3. Oktober Menschen zu Wort kommen, die damals in Berlin waren und die Atmosphäre in der Stadt beschreiben.

„In einen U-Bahnhof in der Ostzone einzufahren, war schon eine seltsame Sache. Weit vorn tauchte der helle Fleck der Einfahrt auf, du musstest dann auf 25 Stundenkilometer runterbremsen. Im Bahnhof, zum Beispiel Jannowitzbrücke, glimmte Notbeleuchtung, zwei NVA-Leute mit Maschinenpistolen patrouillierten. Wir sahen uns 20, 30 Mal am Tag, gewinkt haben wir nie.

Es kam schon manchmal zu heißen Situationen. Wenn Hertha gespielt hatte und ein Waggon voll mit angetrunkenen Fans war, haben die schon mal eine Tür aufgerissen und rausgebrüllt. Was, erzähle ich mal besser nicht. Das Luftdrucksystem, das die Türen zuhält, war damals noch nicht so stark. Ich habe aber immer Schwein gehabt, mir ist nie ein Zug in der Zone stehen geblieben.

U-Bahn fahren war vor der Wende absurd. Die U 6 und die U 8 fuhren unter Ostberlin durch, Stationen wie Stadtmitte oder Heinrich-Heine-Straße waren dicht. Bevor man in die Zone gefahren ist, stieg ein zweiter Mann zu. Eine Vorsichtsmaßnahme. Bei bestimmten Zugschäden kann man nämlich zu zweit weiterfahren, einer setzt sich dann zum Beispiel in den hinteren Triebwagen. Davon mal abgesehen, hatte die Regelung natürlich den Vorteil, dass wir nett quatschen konnten. Heute ist U-Bahn fahren eintöniger.

Die unterirdische Wiedervereinigung ging schnell. Jannowitzbrücke war – auch wegen der S-Bahn-Anbindung – der erste Bahnhof Ost, der wieder geöffnet wurde. Das war schon am 11. November 1989. An Stationen wie Alexanderplatz oder Heinrich-Heine-Straße konnten wir erst wieder Anfang Juli 1990 stoppen – nach der Renovierung. Licht, Heizung im Abfertigerhäuschen, Lautsprecheranlage, da war ja alles uralt. Nach fast 30 Jahren Stilllegung sahen die aus wie Hundehütten.

Die Monate bis zur offiziellen Wiedervereinigung waren toll. Ich bin in Charlottenburg geboren, Urwestberliner also, und das Gefühl des Eingesperrtseins war plötzlich weg. Die Bahnsteige waren oft schwarz vor Menschen, wenn man mit dem Zug einfuhr. Die Ostberliner nutzten für den Ausflug in den Westen eben gerne die U-Bahn, den Stoffbeutel mit Proviant immer dabei.

Heute fahre ich auch noch U-Bahn, immer die U 6. Manchmal kommen die alten Bilder hoch, während ich im Zugführerhaus sitze. So was vergisst man nicht.“

PROTOKOLL: ULRICH SCHULTE