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Archiv-Artikel

Gefühlte 400 Millionen Dollar

Blockbusterkino aus Russland: „Wächter der Nacht“ von Timur Bekmambetow

Sie sind also unter uns. Die Kräfte des Guten und des Bösen, die Wächter der Nacht und die Wächter des Tages, die sich „seit Anbeginn der Zeit“ bekriegen. Hellseher und Gestaltwandler die einen, Vampire die anderen. „Die Anderen“ heißen sie alle, aber als solche erkennen sie sich nur gegenseitig. Ein ganz Anderer wird kommen, ein Kind, um den Kampf zu entscheiden, und zwar für die dunklen Bösen.

Ein Auserwählter, sich seiner Identität als Nachtwächter noch nicht bewusst und dem Guten nur begrenzt dienlich, soll sich des Knaben annehmen. Und wenn er dazu nun seine Sonnenbrille aufsetzt und man weiß, dass „Wächter der Nacht“ mit seinem pseudophilosophisch umraunten Mystizismus Teil eins einer epischen Trilogie darstellt – dann weiß man auch, dass dieser Film ohne „Matrix“ und „Herr der Ringe“ nicht zu denken ist. Er bedient sich auch bei den Vampirgemetzeln von „Blade“ und den düsteren Wunderwelten von „Delicatessen“, so wie er überhaupt ein Amalgam zeitgenössischen westlichen Kinoschaffens ist, obwohl er doch ein russischer Film ist, ein Blockbuster, der erfolgreichste aller Zeiten. Nur vier Millionen Dollar stecken darin, aber es sind gefühlte vierhundert. Die Spezialeffekte fliegen einem mit viel Heavy Metal nur so um die Ohren. Manchmal erfüllen sie einen Sinn. Meistens nicht. Ganz wie in Hollywood. Ein wohlfeiler Zynismus soll den abstrusen Plot abrunden und wirkt doch nur – weil man eben auch das schon kennt – als Coolnesssimulation. Neos Sonnenbrille. Mitten in der Nacht. Das geht nun wirklich nicht.

Was zieht man aus so einem Film außer der Erkenntnis, dass der russische Film das alles auch kann und offensichtlich auch will? Man mag sich an den Schauplätzen erfreuen, Moskauer U-Bahn-Schächte und Wohnblocks. Man kann Anspielungen auf Kalten Krieg, Terrorismus und Tschernobyl aufspüren. Aber es macht keinen Unterschied. Auch nicht, würde hier besser geschauspielert und weniger wirr inszeniert. Das Wesen von „Wächter der Nacht“ ist die Kopie. Wer hier nach einer russischen Seele sucht, wird sie nicht finden. Oder irgendeine andere. Man kann ja mal mitraunen: Aus diesem Film schreit eine Leere, die mit der Größe Russlands nicht mehr zu fassen ist. Raum und Zeit verflüchtigen sich beim Sehen in ein entropisches Vakuum, wodurch nun plötzlich doch Fragen auftauchen, die auch vor den Originalen nicht Halt machen. Wie macht man einen Film, der nicht kopiert werden kann? Mit welchem Recht sieht man „Matrix“ als Original und „Wächter der Nacht“ als Kopie? Und wie originell ist eine Kritik, die solchen Kriterien irgendeine Bedeutung beimisst?

Bei Tageslicht betrachtet, ist „Wächter der Nacht“ natürlich kein Film aus der sich längst selbst reproduzierenden Kinomatrix, sondern ein Film von Timur Bekmambetow. Ein Prestigeprojekt, dessen immenser Erfolg den Weg in die westlichen Kinos gebahnt hat. Die Romane des Sci-Fi-Autors Sergei Lukjanenko dienen Bekmambetow als Vorlage. Er hat nichts Besonderes daraus verbrochen. Ob er mehr wollte als zwei Stunden mittelprächtiger Unterhaltung, weiß man vielleicht erst nach Abschluss der Trilogie. Wahrscheinlich aber nicht. PHILIPP BÜHLER

„Wächter der Nacht“. Regie: Timur Bekmambetow. Mit Konstantin Khabensky, Vladimir Menshov u. a. Russland 2004, 114 Min.