: Zum Abschied noch ein paar kleine Nadelstiche
BILANZ Der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck warntin seiner letzten Rede, unsere Demokratie sei „unter Beschuss“
aus Berlin Georg Löwisch
Der Gesang im Schloss klingt nach Gespenstern. Dann, nach einem Moment der Irritation, wird klar, dass es „Freude schöner Götterfunken“ ist, was die Band hier spielt. Alle atmen durch. Joachim Gauck sitzt in der ersten Reihe, er hat es geschafft. Aus. Ende. Feierabend.
Am 12. Februar wird die Bundesversammlung den neuen Bundespräsidenten wählen. Und an diesem Mittwochvormittag im Januar hat Gauck vor geladenen Gästen in seinem Amtssitz seine Abschiedsvorstellung gegeben. Seine letzte Rede, und so wie er es während seiner Präsidentschaft tat, so hat er auch jetzt in verschiedene Richtungen ausgeteilt. Doch diesmal waren es eher Nadelstiche. Der Präsident hat darauf geachtet, den Abschluss nicht zu vergaucken.
Er hat es so ähnlich gemacht wie die Jazzband im Schloss: kurze Irritationen. Dann den beruhigenden Sound der Bundesrepublik.
Stichwort Sicherheitspolitik: Gauck warb für eine verbesserte Verteidigungsfähigkeit im westlichen Bündnis. Übersetzt heißt das Aufrüstung. „Denn die Aussage, es könne niemals eine militärische Lösung geben, klingt gut und ist gut, allerdings nur, solange sich alle Seiten an diese Maxime halten.“ Wem Gaucks erste umstrittene Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz missfiel, dürfte auch diesen Abschnitt nicht gemocht haben. Aber über diese bekannte Position ging er nicht hinaus, sondern bettete Begriffe wie „republikanische Verteidigungsbereitschaft“ sorgsam in Krisenprävention, Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie ein.
Stichwort Sozialstaat: Gauck betonte den Begriff der „Chancengerechtigkeit“, die Gerhard-Schröder-Version von sozialer Gerechtigkeit. Aber er hat eben auch klargemacht, dass der innere Frieden vom Sozialstaat abhängt: „Eine Errungenschaft, um die uns manch anderer Staat beneidet.“
Stichwort Sicherheitsdebatte: „Ja, die Freiheit schränkt ein, wer der Sicherheit unverhältnismäßig viel Raum einräumt. Aber der Rechtsstaat verliert, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach oder gar hilflos erweist.“
Stichwort Europa: Gauck trat für eine gemeinsame europäische Haushalts- und Finanzpolitik ein. Das geht weit. Aber während er über Deutschland emotional spricht, redet er über Europa sehr kühl.
Am weitesten geht Joachim Gauck, als er über die Auseinandersetzung um die liberale Demokratie spricht, da ergreift er am klarsten Partei. Er predigt gegen Hetze, Ausgrenzung und Hass. Er spricht von Rechtspopulisten, die sich zu alleinigen Sprechern des Volkes erklärten. „Die liberale Demokratie und das politische und normative Projekt des Westens, sie stehen unter Beschuss.“Das Land müsse wieder lernen, dass man Respekt vor dem anderen habe. „Heftig streiten, aber mit Respekt und dickem Fell.“
Angst vor dem Vorwurf des Rassismus dürfe nicht dazu führen, dass eine Diskussion darüber unterlassen werde, welches Islamverständnis zu einer demokratischen Gesellschaft passe. Aber die entscheidende Trennlinie verlaufe nicht zwischen Alteingesessenen und Neubürgern, auch nicht zwischen Christen, Muslimen, Juden oder Atheisten. Sondern: „Die entscheidende Trennlinie verläuft zwischen Demokraten und Nichtdemokraten.“
Interessant ist auch seine Kritik an der Konsumhaltung vieler. „Demokratie ist kein politisches Versandhaus.“ Demokratie müsse man leben – als ständige Selbstermächtigung zur politische Teilhabe.
Seine Abschiedsvorstellung gibt der Präsident im Schlosssaal. Dietmar Bartsch von der Linkspartei ist genauso da wie der Landwirtschaftsminister von der CSU. Und all jene, die auch mal Bundespräsident werden sollten, aber es nicht wurden: Voßkuhle und Huber, Schipanski und Birthler. Es ist das immer gleiche Völkchen der Staatstragenden. Umso besser, dass Gauck klarmacht: Den Staat tragen andere, die Bürgergesellschaft.
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