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Archiv-Artikel

Sozis jagen Posten im Regierungsviertel

Die SPD beansprucht zwei Bundestagsvizepräsidenten für sich. Grüne und FDP wehren sich gegen teure Verwilderung der Sitten. Dient der Streit dazu, die sozialdemokratische Verhandlungsmasse bei den Koalitionsgesprächen zu vergrößern?

VON ULRIKE WINKELMANN

Letzter Trost Bundestagspräsidium – da sitzt man wenigstens im Reichstag vorn. Wie nach der Wahl 2002 die Union, verlangt jetzt die SPD einen zusätzlichen Sitz im Präsidium des Parlaments. Begründung: Mit einem Präsidenten und je einem Vize der fünf Fraktionen gebe es sechs, also eine gerade Anzahl an Stimmen. Dann aber sei das Gremium entscheidungsunfähig.

„Das Präsidium hat eine Verwaltung mit 3.000 Leuten zu steuern und zu besetzen. Da ist ein Patt nicht gut“, erklärte die derzeitige Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner (SPD) gestern der taz. Wie der derzeitige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) habe sie daher durchaus die Absicht, für einen Sitz zu kandidieren.

Bei den anderen Parteien stößt der Wunsch der SPD auf Verständnis- oder Fassungslosigkeit. Der Grüne Volker Beck, 44, der im Ältestenrat des Bundestags die Vorverhandlungen zur Präsidiumsbesetzung führt, erklärte der taz: Eine ungerade Stimmenzahl sei „keine Notwendigkeit“. Er empfehle, „gerade in unsicheren Zeiten den Prinzipien von Geschäftsordnung und Parlamentspraxis treu zu bleiben“. Beck hatte 2002 die grüne Bundestagsrede gegen das Ansinnen der Union auf Verdoppelung ihrer Vizes gehalten. Eine Erweiterung des Präsidiums 2005 schloss er gestern zwar nicht aus – „aber nur, wenn das kostenneutral bleibt“.

Auch Becks FDP-Kollege im Ältestenrat, Jörg van Essen, wies gegenüber der taz auf den Kostenfaktor Diät-Mitarbeiter-Dienstwagen hin. Im Übrigen habe es schon 1998 bis 2002 ein sechsköpfiges Präsidium gegeben, weil auch da die PDS eine Vize gestellt hat. Damals habe Thierse eben die „Stichstimme“, also die Entscheidung gehabt.

Der Vorstoß für zwei Sitze ist der zweite Versuch der SPD, die Präsidiumsbesetzung zur Verhandlungsmasse in den Koalitionsgesprächen mit der Union zu machen. In der Ältestenratssitzung am Mittwoch scheiterten die Sozialdemokraten bereits mit dem Ansinnen, die Wahl des Präsidiums zu verschieben. Diese wird daher auf der ersten Sitzung des 16. Deutschen Bundestags am 18. Oktober stattfinden müssen. Denn, wie Beck ohne erkennbare Sympathie für den ehemaligen Koalitionspartner formulierte: „Eine Konstituierung ohne Konstituierung ist keine Konstituierung.“

Zwar wurde aus der SPD gestern bestritten, dass man den Kanzler gegen den Präsidenten tauschen würde (Gerhard Schröder geht, dafür bleibt Wolfgang Thierse). Doch könnten die Sozialdemokraten stattdessen eben auf zwei Vizepräsidenten bestehen. Alle solche Erwägungen verbuchte van Essen wütend unter „Verwilderung der parlamentarischen Sitten“. Norbert Röttgen, für die CDU im Ältestenrat, sprach von „absurdem Theater“.

Auf der Ältestenratssitzung am 10. Oktober soll es eine Lösung geben. Bis 1994 hatte die SPD übrigens immer zwei Vize – dann sorgte der damalige Unionsfraktionschef Wolfgang Schäuble dafür, dass der zweite SPD-Sitz an die Grünen ging.